Fünf weiße Aktenordner gestapelt.

Die Rolle Veterinärbehörden bei Tierversuchen

Welche Rolle spielen dabei die Veterinärbehörden? Wo liegen die Probleme?

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Die Veterinärbehörden sind die Behörden, die sich mit der Prüfung beantragter oder angezeigter Versuche befassen. Je nach Bundesland sind sie auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen angesiedelt. In Hessen erfolgt die Bearbeitung des Tierversuchswesens seit Ende 2015 ausschließlich durch die drei Regierungspräsidien. Diese sind neben der Bearbeitung von Anträgen und Anzeigen von Tierversuchen auch für die Überwachung der Versuche und der Tierhaltungen zuständig.

Sie haben, wie unter 4. erwähnt, bei Tierversuchen einen umfangreichen Prüfauftrag hinsichtlich der Feststellung der Unerlässlichkeit und der ethischen Vertretbarkeit. Sie müssen jedoch ebenso prüfen, ob alle weiteren Voraussetzungen gegeben sind.

Unerlässlichkeit bedeutet, dass es keinen anderen Weg gibt, um die angestrebte wissenschaftliche Fragestellung zu beantworten. Im weiteren Sinne umfasst die Unerlässlichkeit auch die Geeignetheit der geplanten Methoden.

Im Rahmen der Unerlässlichkeitsprüfung müssen die Behörden feststellen, ob folgende im Tierschutzgesetz vorgegebene Grundsätze beachtet werden:

Der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist zugrunde zu legen.

Es ist zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob zur Erreichung des mit dem Tierversuch angestrebten Ergebnisses eine andere Methode oder Versuchsstrategie, die ohne Verwendung eines lebenden Tieres auskommt und die nach dem Unionsrecht anerkannt ist, zur Verfügung steht.

Versuche an Wirbeltieren oder Kopffüßern dürfen nur durchgeführt werden, wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind (wenn ein Versuch beansprucht, ethisch vertretbar zu sein, muss der erwartete Erkenntnisgewinn die zu befürchtenden Schmerzen, Leiden und Schäden überwiegen).

Schmerzen, Leiden oder Schäden dürfen den Tieren nur in dem Maße zugefügt werden, als es für den verfolgten Zweck unerlässlich ist; insbesondere dürfen sie nicht aus Gründen der Arbeits-, Zeit- oder Kostenersparnis zugefügt werden.

Versuche an Tieren, deren artspezifische Fähigkeit, unter den Versuchseinwirkungen zu leiden, stärker entwickelt ist, dürfen nur durchgeführt werden, soweit Tiere, deren derartige Fähigkeit weniger stark entwickelt ist, für den verfolgten Zweck nicht ausreichen.

Die Veterinärbehörden werden bei dieser schweren Aufgabe von ehrenamtlichen Fachkommissionen unterstützt. Die abschließende Entscheidung über eine Genehmigung liegt jedoch alleine bei den Behörden, die nicht an das Votum der Kommissionen gebunden sind.

Wo liegen die Probleme?

Es existieren zunächst grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen zur Sinnhaftigkeit von Tierversuchen. Befürworter beanspruchen, dass wesentliche Erkenntnisse der Wissenschaft durch Tierversuche errungen wurden und weiterhin werden können. Gegner sprechen Tierversuchen jegliche Übertragbarkeit auf die Situation beim Menschen ab. Es existieren keine wirklich belastbaren Daten dafür, was Tierversuche letztendlich bisher für die Menschheit gebracht haben.

Der Gesetzgeber vertritt offenbar zumindest die Position, dass Tierversuche sinnhaft sein können, andernfalls hätte er nicht den Rechtsrahmen dafür geschaffen.

In den letzten Jahren ist zunehmend ein Bewusstsein dafür entstanden, dass Alternativmethoden für Tierversuche entwickelt und validiert werden müssen. Letzteres bedeutet, dass das Funktionieren und die Wiederholbarkeit einer Methode wissenschaftlich nachgewiesen werden. Deren Nutzung ist – soweit irgend möglich – gesetzlich vorgeschrieben. Allerdings wird dieses Ziel nicht ansatzweise in der notwendigen Intensität verfolgt. Insbesondere beträgt die finanzielle Förderung der Entwicklung von Ersatzmethoden nur einen Bruchteil dessen, was für Projekte mit Tierverwendung aufgewendet wird. Dies trifft auch auf die Wissenschaftsförderung in Hessen zu.

Es wäre wünschenswert, dass jegliche Fördermittel, die für Vorhaben mit Tierverwendung gewährt werden, verbindlich daran geknüpft wären, dass gleichzeitig die Entwicklung von Alternativmethoden vorangetrieben wird.

Insofern mangelt es derzeit noch an Ersatzmethoden bzw. es wird von Seiten der Wissenschaftler dargelegt, dass diese für die Erreichung ihrer wissenschaftlichen Ziele nicht geeignet seien. Dieses Problem lässt sich im Rahmen von Genehmigungsverfahren meist nicht zufriedenstellend lösen.

Für die begutachtenden Behörden ergibt sich außerdem die Schwierigkeit, die ethische Vertretbarkeit zu beurteilen. Hierfür müssen die entstehenden Belastungen gegen den erhofften Erkenntnisgewinn aufgewogen werden. Im ungünstigsten Fall handelt es sich bei beidem um Unbekannte. Wie ist ein Versuchsvorhaben zu bewerten, bei dem erhofft wird, dass es vielleicht den ersten Schritt zur Therapie einer aggressiven Tumorerkrankung ermöglicht, das aber ebenso gut völlig erfolglos verlaufen kann?

Auch die Einstufung der den Tieren zugefügten Belastungen stellt eine Herausforderung dar: Die klassischen „Labortiere“ Maus und Ratte, aber auch andere, zeigen nur wenige und teilweise sehr subtile Symptome, wenn es ihnen schlecht geht. Die Tatsache, dass „man nichts sieht“, bedeutet jedoch nicht, dass keine Belastung vorhanden ist.

Zwar gibt die EU-Tierversuchsrichtlinie Hinweise zur Belastungseinstufung, allerdings beschränken sich diese auf ausgesuchte Fallkonstellationen, die das in Tierversuchen mögliche Spektrum bei weitem nicht abdecken.

Insofern können hier letztlich immer nur Annahmen getroffen werden.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass ein Großteil der beantragten Versuche letztendlich genehmigt wird. Den Behörden bleibt häufig nur, die Aspekte des Refinement (Verfeinerung der Versuche) und der Reduction (Verringerung der benötigten Tierzahlen) zu optimieren. Das heißt, fast alle Anträge müssen unter diesen Aspekten nachgebessert werden, bevor sie genehmigt werden können. In Frage kommen hierbei Änderungen des Versuchsdesigns, die Festlegung früherer Abbruchkriterien, bessere Schmerzmittel oder geeignetere Narkosen sowie sonstige flankierende Maßnahmen zu Begrenzung der Belastungen.

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