Denkanstöße

Gedanken zum Thema Tierschutz

Hier lesen Sie einige Beiträge, verfasst von der Theologin und Gründerin der Tierschutzorganisation Animals’ Angels, die zum „Denken“ anregen:

Tierschutzthemen sind immer häufiger präsent: in den Medien, in politischen Debatten, sogar vor Gericht. Besonders erbittert wird über das sogenannte "Wohl" der "Nutz"tiere gestritten.

Ein paar Zentimeter mehr für die Schweine in ihren Kastenständen, Ausfuhrverbot für tragende Färsen aus der EU, Routinekontrollen in Tierkörperverwertungsanlagen - Vorgaben selbst für minimale Veränderungen in der Tierhaltung rufen sofort den Bauernverband auf den Plan mit düsteren Prognosen im Hinblick auf die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland und der immer neuen Forderung nach sogenannten "Ausgleichszahlungen".

Das ultimative Argument von Politikern und Vertretern der Agrarindustrie ist dann immer: der Verbraucher will billige Lebensmittel, und diese können nur unter optimaler Nutzung der Tiere in entsprechenden Haltungssystemen produziert werden.  Über die Jahre läßt sich dann gut beobachten, wie weit das, was als "Meilenstein im Tierschutz" medial gepriesen wird, das traurige Dasein der "Nutz"tiere eben nicht wirklich zum Besseren verändert.

Hühner in Legebatterien, Schweine in Käfigen, wo sie sich nicht mal umdrehen können, Hochleistungskühe mit einer Milchleistung, die sie nur unter Auszehrung des eigenen Körpers für maximal 3 Jahre erbringen können -  all das, was Sie und ich und die meisten Landsleute nach Umfragen überhaupt nicht gut finden, ist millionenfache Praxis, und zwar - das ist das perverse daran - angeblich weil wir , Sie und ich, das so wollen. Das sogenannte "Interesse des Verbrauchers" an billigen Eiern, billigem Fleisch, billiger Milch, erzwingt geradezu eine kostensparende Massentierhaltung. So die offizielle Lesart.  

Sie und ich – das muß man sich mal klar machen - sind nämlich für Politik und Wirtschaft völlig eindimensional. Wir sind letztlich nur "Verbraucher". Nicht anderes. Mag die Identitätsdebatte noch so laut und heftig geführt werden – eigentlich ist es völlig egal, wer welches Geschlecht hat und wo er herkommt.  Hauptsache es wird gekauft, verbraucht, gekauft, verbraucht…. Soziale, psychologische, religiöse Aspekte spielen zwar vordergründig eine Rolle, das hört sich alles gut an in Talk-Shows und im Internet. Tatsächlich sind wir als Menschen jedoch reduziert worden auf unsere Kaufkraft.  Angeblich wollen wir – die Verbraucher, also Sie und ich – nur eines:  nämlich mehr von allem, möglichst kostengünstig und am besten sofort…und das ganz besonders im Lebensmittelbereich.

Nur – Menschen sind so viel mehr und anderes als Verbraucher. Die ganze Vielfalt menschlichen Seins wird ignoriert von einer politikgestützten Wirtschaft, die uns alle auf das reduziert, was wir (angeblich) verbrauchen wollen. Das System Kapitalismus agiert längst selbst-erhaltend. Selbst wenn Sie und ich für den Rest unseres Lebens kein einziges Ei mehr essen, keinerlei Milchprodukte mehr verzehren und komplett auf Fleisch verzichten würden, hätte das keinerlei Einfluß auf die deutsche Produktion von Eiern, Milch und Fleisch und das schreckliche Schicksal der Kühe, Schweine, Rinder und Hühner.  Irgendwelche Abnehmer für deutsche Produkte finden sich immer in einer globalen Wirtschaftswelt. Die Zahl der vegetarisch/vegan lebenden Menschen in Deutschland steigt kontinuierlich, ebenso wie das Bewußtsein für das Leid und die Bedürfnisse von Tieren. Aber: Die Zahl der "Nutz"tiere in ihren elenden Haltungssystemen steigt jedoch ebenfalls.

 

Der erfolgreiche Tierdokumentarfilmer Craig Foster möchte sein Leben ändern und beginnt zu tauchen. In einer Meeresbucht bei Kapstadt begegnet er einem Oktopus. Zwischen den beiden entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft, und sie zeigt ihm ihre Unterwasserwelt der Kelpwälder. Ein Jahr lang treffen die beiden sich täglich. Craig Forster gibt seiner Partnerin bei diesen Exkursionen keinen Namen, um sie als "wildes Tier zu respektieren, im Gegensatz zum Haustier".

Der Netflixfilm über diese Interspecies Freundschaft "My Octopus Teacher" (2020) hat weltweit Aufsehen erregt und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, dieser Tage auch mit einem Oscar für den besten Dokumentarfilm.

Der Great African Sea Forest erstreckt sich über 1000 km von Namibia bis zum Kap der guten Hoffnung und wird gebildet aus bis zu 17 m hohen Bambuspflanzen.  Die von den Seeleuten der Vergangenheit so gefürchteten Stürme treiben das nährstoffreiche Tiefenwasser nach oben, das die Pflanzen mit reichlich Nährstoffen versorgt. Diese wiederum bieten einer vielfältigen Fauna Schutz und Nahrung. Auch für das globale Klima spielt der Lebensraum Sea Forest eine wichtige Rolle. Die in die Tiefsee gespülte Algen bilden dort Kohlenstoffsenken und binden CO2. Diese Funktion der Kelpwälder ist noch wenig erforscht, und auch die Tiere, die dort leben, geben den Wissenschaftlern viele Rätsel auf.

Ziel des Netflixfilmes ist es, Aufmerksamkeit zu erzeugen, für Forschungsgelder und Schutzmaßnahmen zu werben, und den Verzehr von Oktopusfleisch zu stoppen. 

Doch das Veröffentlichen der Filmaufnahmen hatte sofort die üblichen unguten Nebenwirkungen.

Craig Foster und sein Team haben den Ort der Aufnahmen zwar geheim gehalten. Aber Ortskundige konnten die Stelle, wo die Treffen Mensch-Oktopus stattfanden, anhand von Küstenformation und Gesteinsbrocken identifizieren. Ein neues interessantes Ziel für Touristen und Hobbytaucher war gefunden. Was das längerfristig bedeutet, kann sich jeder selbst ausdenken: mehr Müll, neue Infrastrukturen, mehr Trinkwasserverbrauch, mehr Verkehrsaufkommen, am Ende die Zerstörung dieser einzigartigen Unterwasserwelt. Nach Aussage von Meeresbiologen hat dieser Trend schon begonnen.

Könnte die weltweite Pandemie das globale Reisen vielleicht einschränken? Dies ist nach Aussage von TUI Vorstandschef F. Joussen in einem Interview am 24. April eine trügerische Hoffnung:

In den letzten 15 Jahren ist der Tourismus doppelt so stark gewachsen wie das Bruttosozialprodukt. Es gibt nicht viele derart wachstumsstarke Märkte. Zwei Megatrends treiben dieses Wachstum. Zum einen bleiben die Menschen länger gesund, sind fit, werden älter und haben Geld… Zum andern ändern sich in der jungen Generation Wertvorstellungen, viele wollen lieber etwas erleben als etwas zu besitzen. Reisen steht dabei immer mehr im Fokus… Beide Trends werden von der Pandemie nicht gebrochen… Sobald die Menschen wieder reisen dürfen, werden die Trends sofort dafür sorgen, dass das Reisen ungebrochen wieder so wächst wie zuvor.

Good bye Great African Sea Forest - der Tourismus wird dein Ende sein. Was möglich ist, wird gemacht und Verzicht ist leider aus der Mode gekommen.

Die Menschheitsgeschichte lehrt, dass Gewaltbereitschaft und brutalen Taten in der Regel die Erniedrigung der Opfergruppe vorausgeht. Im Hinblick auf die Tiere können wir diese Erniedrigung durch Worte und Bilder täglich verfolgen – auf unseren Autobahnen.

(Einige Beispiele als Download)

Solche Aufschriften auf LKWs begegnen jedem Autofahrer immer wieder. Nicht einmal engagierte Tierfreunde kommentieren das öffentlichkeitswirksam. So selbstverständlich sind diese unsäglichen Zeichnungen mittlerweile.  Und das ist das gefährliche daran. Weder die Geschmacklosigkeit noch die Lügen, die so transportiert werden – im doppelten Sinn! – sind das wirklich Schlimme. Über Geschmack kann man bekanntlich streiten und Lügen heißen mittlerweile "alternative Wahrheit".

Das Furchtbare ist, dass die Opfer aus dem Blick geraten. Menschen fahren an diesen Tiertransportern vorbei, ignorieren die Karikaturen, finden das Tierschutz-Label einen guten Schritt in Richtung Tierschutz, lachen vielleicht sogar über die "Turnierhühner" - und setzen ihre Fahrt fort. Dabei kann jeder, wirklich jeder Mensch in Deutschland und in Europa mittlerweile wissen, wen er hier überholt: Tiere in Angst und Schrecken. Tiere mit starken Schmerzen. Tiere deportiert aus ihrer gewohnten Umgebung. Tiere getrennt von Familie und Freunden. Tiere – in vielen Fällen – auf dem Weg in den Tod. Jeder Tiertransporter ob klein oder groß, fährt Opfer durch die Gegend, unschuldige Opfer eines kranken, ausschließlich am Profit orientierten Wirtschaftssystems.

Wir akzeptieren mehrheitlich aufgrund der Pandemie alle möglichen Reisebeschränkungen. Der ADAC Slogan "Freie Fahrt für freie Bürger" hat derzeit grade mal ausgedient. Aber die Tiertransporter dürfen fahren, bis nach Marokko und Usbekistan. Freie Fahrt für gefangene Tiere. Ist es das wirklich, was wir wollen? Jeden einzelnen Tag werden auf Europas Straßen und Autobahnen etwa 3,8 Millionen Tiere transportiert.  Das sind 1,4 Milliarden Opfer im Jahr, Opfer, die nicht zählen, Opfer, die unbeachtet und unbeweint leiden und sterben.

Meine Bitte an Sie: wenn Sie das nächste Mal einen solchen Transporter überholen, dann schenken Sie den Tieren einen Moment des Mitgefühls. Das verändert etwas - für Sie und für die Tiere. Wie kann das sein? fragen Sie.

So ein Augenblick des Mitgefühls ist ein Akt des Widerstandes. Wer den Tieren im Vorüberfahren seine Empathie schenkt, der hat die Ebene von "Lebendmasse" und "Fleischproduktion" verlassen und ist ganz kurz auf einer völlig anderen Wellenlänge. Hier zählen Barmherzigkeit und Güte. Hier wird mit den Augen der Liebe geschaut – nicht nur auf die Tiere, sondern auch auf die Fahrer dieser LKW Monster, von denen die allermeisten, mit denen ich gesprochen habe, lieber etwas anderes tun würden, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen.

Widerstand hat allerdings einen Preis. Wer sein Herz öffnet – für die Momente, die das Überholen dauert – der spürt dann auch das Leid der Tiere, ihre Angst und ihre Schmerzen.

Davor haben die meisten Menschen Angst und machen ihre Herzen lieber zu. Aber dann erfahren sie natürlich auch nicht, was die Tiere zurückgeben…

 

In der jüdischen und der christlichen Tradition gibt es den interessanten Gedanken von einem Verfallsdatum für Gut und Böse. Letzteres entfaltet seine hässlichen Auswirkungen bis in die dritte und vierte Generation nach den Tätern. Das Gute hingegen wirkt bis in die tausendste Generation, das heißt: unendlich. So die Aussage der Bibel.

Die Psychologie unterstützt diesen Gedanken zumindest was das Böse angeht, indem sie in umfangreichen Forschungsprojekten untersucht, wie es kommt, dass zum Beispiel die Enkel der Tätergeneration des 3. Reiches unter biographisch völlig unerklärlichen posttraumatischen Belastungsstörungen leiden.

Aktuell sieht es ja so aus, dass Tiere und Tierschutz global im Focus sind wie noch niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Gleichzeitig wächst das Leid der Tiere unerbittlich von Jahr zu Jahr hauptsächlich durch Habitatzerstörung und landwirtschaftliche Tiernutzung.

Wenn wir die Vorstellung von einem Verfallsdatum für Gut und Böse einmal unverbindlich für den Tierschutz übernehmen, eröffnet das eine neue, hoffnungsvolle Perspektive – in die Vergangenheit und die Zukunft.

Kapitalistische Wirtschaftsform und Industrialisierung haben zu einer noch nie dagewesenen Ausrottung und Versklavung von Tieren geführt. Dieser Lebensstil ist jedoch nicht unendlich fortsetzbar. Das wird immer deutlicher, auch wenn diese Wahrnehmung derzeit ohne aktive Konsequenzen bleibt. Aber selbst wenn noch unsere Urenkel unter den Folgen unserer Habgier und Dummheit zu leiden haben, gibt es dafür ein Verfallsdatum. Und das zeichnet sich schon ab. Wir können also hoffen, dass unsere Kindeskinder Auswege aus der Krise und zu einem geduldigen Miteinander der Spezies auf diesem Planeten finden.

Denn gleichzeitig sind wir und unsere Nachkommen ja auch die Erben von mutigen, barmherzigen, klugen Menschen, die uns vorgearbeitet und ihre uneingelöste Hoffnung an uns weitergereicht haben. Im deutschen Tierschutz sind das große Persönlichkeiten wie Albert Schweizer oder Bernhard Grzimek. Aber auch längst vergessene Menschen wie die beiden Pfarrer Adam Dann und Albert Knapp oder die Schwestern Margarete und Olga Bartling haben vieles Gute bewirkt, das mit ihrem Tod noch lange nicht verschwunden ist. Das Gute hat eben kein Verfallsdatum!

Und das gilt auch für uns selbst. Jede in mühsamen Gerichtsverfahren durchgesetzte Beschlagnahmung von Tieren durch einen Amtsveterinär, jeder gerettete und vermittelte Hund, jede Umstellung von Anbindehaltung zum Freilauf, jeder nicht durchgeführte Tierversuch – all das und vieles andere ist ohne Verfallsdatum. Es wirkt weiter und stärkt, und ermutigt die Menschen, die nach uns kommen und weiter für die Rechte der Tiere auf Leben, Freiheit und Glück streiten. Den kommenden Generationen hilft das Gute, das wir in die Welt getragen haben, auch wenn wir selbst oft fassungslos vor der Wirkungslosigkeit unserer Mühe für die Tiere stehen. 

Das Böse hat nur drei, höchstens vier Chancen. Das Gute wirkt bis in alle Ewigkeit. Es schadet nichts, das einfach mal als Arbeitshypothese zu nehmen….

Eine narzisstische Kränkung kann üble Folgen haben, wie man derzeit an Donald Trump beobachten kann. Das gekränkte Ich läuft Amok. Nicht nur in USA. Schon lange vor der Covid 19 Pandemie konnten wir auch in Deutschland eine Konkurrenz gekränkter Seelen beobachten. Ständig war jemand wegen irgendwas beleidigt. Gendern und Nicht-Gendern, geschlossene Grenzen oder Willkommenskultur, Autobahn oder Wald… Wer gekränkt agierte, konnte mit Aufmerksamkeit rechnen. Gekränkt-Sein lohnte sich emotional, politisch, sogar finanziell.

Durch die Pandemie hat diese Kränkungsdynamik nun noch eine ganz andere, bedrohliche Dimension bekommen. Menschen werden plötzlich nicht mehr gebraucht: Musiker, Schauspieler, Tänzer, Gastwirte, Köche, Geschäftsinhaber im Einzelhandel, Angestellte im Reisebüro…Was sie können und wissen, wird von heute auf morgen nicht mehr abgefragt. Es ist als wären auf der Bühne der Gesellschaft die Scheinwerfer für all diese Menschen abgeschaltet worden. Das ist eine enorme Kränkung und macht auf Dauer krank. Auch wenn die Betroffenen es erst mal akzeptieren und scheinbar wegstecken.

Psychologen warnen vor einer möglichen Welle psychischer Erkrankungen. Viele Menschen können so einen "Generalangriff aufs Ich" irgendwann nicht mehr abwehren.

Mich wundert in diesem Zusammenhang, dass es in Deutschland immer noch Amtstierärzte gibt, die ihre Arbeit tun, obwohl sie einem Dauerbeschuss von Kränkungen ausgesetzt sind.

Sie machen eigentlich – so die Meinung der meisten Zeitgenossen – alles falsch, was man überhaupt nur falsch machen kann.

Den einen machen sie zu viel - den andern zu wenig Tierschutz.

Sie sollen Lebensmittelsicherheit garantieren, aber ja nicht so oft kontrollieren und vor allem keine Menschen mit Migrationshintergrund.  

Sie sollen Gerichtsverfahren erfolgreich durchführen ohne eine juristische Aus- oder wenigsten Weiterbildung erhalten zu haben.

Sie sollen Schlachthöfe überwachen, aber nicht so genau auf die Betäubung schauen, denn das könnte die "Produktion" verlangsamen.

Sie sollen den Landwirt, den Verbraucher, das Gesundheitsamt, den Landrat, das Ministerium, die Tierschützer keinesfalls mit irgendetwas aufregen, und sich selbst schon gar nicht.

Wer hält so was aus? Vielleicht haben Amtstierärzte besondere Anti-Kränkungs-Gene, die sie befähigen, in einem solchen Umfeld überhaupt noch etwas zu leisten.

Und was ich persönlich für die schlimmste Kränkung eines ganzen Berufsstandes halte: Die fachliche Qualifikation der Veterinäre wird nicht abgefragt. Amtstierärzte haben ein langes, teures und anspruchsvolles Studium hinter sich. Aber ihr professionelles Wissen ist unerwünscht. Wann fragen Politiker wirklich nach, was Veterinäre über Tiere wissen? Wie schwer wiegt ihre Professionalität vor Gericht? Wie kann es sein, dass Tierschutz und Tiergesundheit immer noch im Landwirtschaftsministerium angesiedelt sind, also genau in dem Ministerium, das rigoros die Interessen der Bauern vertritt? Wieso eigentlich nicht im Umwelt-, Gesundheits- oder Justizministerium? Ich empfinde das als eine massive Kränkung für den tierärztlichen Berufsstand als Ganzes und für die einzelnen Tierärzte und Tierärztinnen als Menschen, die wie wir alle - so gut wie möglich - ihrer täglichen Arbeit nachgehen.

Diese Covid 19 Pandemie ist ja keine Krise, die unerwartet über die Menschheit hereingebrochen wäre. Seit Jahren weisen internationale Epidemiologen auf die Gefahr eines Übersprungs von Zehntausenden noch unbekannter Viren aufgrund der Habitatzerstörung und der Massentierhaltung hin. Hier ist die Professionalität und die praktische Erfahrung der Amtstierärzte dringend gefragt. Nur – es fragt leider niemand. Und wenn Medienvertreter unbequeme Fragen stellen, dann dürfen die Amtstierärzte nicht antworten…

Mein lebenslanges Interesse ist das Recht der Tiere auf Leben, Freiheit und Glück. Meine lebenslange Überzeugung ist: Ohne Tierärzte kann und wird es keinen Tierschutz geben.

Und meiner – ebenfalls lebenslangen - Erfahrung nach gibt es viel zu viele Amtstierärzte die irgendwann nicht mehr können und resignieren, weil sie physisch und psychisch am Ende ihrer Möglichkeiten sind.

Das kann sich unsere Gesellschaft nicht länger leisten.

Hier sind Bund und Länder und Landkreise gefragt. Dringend.

Weihnachten 2020 wird keiner von uns so schnell vergessen. Das Fest der gemeinsamen Gemütlichkeit stand unter dem Diktat der Distanz. Die Geschäfte waren leer. Die Intensivstationen füllten sich. Panische Angst vor Ansteckung und aggressive Leugnung der Gefahr existierten nebeneinander. Das laute Schweigen der Kirchen wurde übertönt von den Durchhalteparolen der Politiker. Und abends meldete das Fernsehen die Zahl der Toten des Tages.

In der Unternehmensberatung unterscheidet man "Kernprozesse" von "Supportprozessen".

Es gibt Firmen, die mit viel Geld und großem Personalaufwand eine ständige Optimierung der Produktionsmethoden betreiben. Irgendwann stehen die Chefs dann ungläubig vor der Insolvenz.  Während Maschinen, Abläufe, Vertrieb perfektioniert wurden, hatten sie das Produkt und damit das Kerngeschäft aus den Augen verloren.

Im Hinblick auf die Pandemie gilt etwas Ähnliches. Maskenpflicht, Beherbergungsverbot, Einschränkungen von Kontakten in allen Lebensbereichen und auch die Impfung – das sind alles Supportprozesse, mehr oder weniger notwendig, mehr oder weniger wirkungsvoll, je nach Standpunkt.  Eine ganze Gesellschaft tastet sich in Deutschland langsam durch den Nebel einer so noch nie dagewesenen globalen Bedrohung.  Was aber ist (oder wäre) das Kerngeschäft? Worauf gilt es zu achten, wenn die aktuelle Krise vorüber oder zumindest handhabbar geworden ist?

Auf diese Frage müssen wir eine Antwort finden, wenn wir die Pandemie nicht nur überstehen sondern uns durch diese Herausforderung weiter entwickeln wollen. Was ist unser "Kerngeschäft" als Menschen, als Bürger dieses Landes, als Teil der Weltbevölkerung?

Wir Freunde der Tiere haben unsere Antwort gefunden. Unser Kernanliegen ist Empathie und zwar für Lebewesen, die extrem leiden und permanent vom Tod bedroht sind. Natürlich müssen auch Tierschützer sich mit den Support-Systemen befassen: Spenderwerbung, Verwaltungsorgane, Vereinsrecht, wissenschaftliche Untersuchungen, politische Kontakte. Aber ohne die von Herzen kommende Empathie mit denen, die Unrecht leiden, bleibt das alles grau und leer. Und irgendwann kommt dann die Insolvenz, wenn nicht finanziell, dann ethisch.  

Und genau dieses Kernanliegen, dieses Mitgefühl für die leidende und bedrohte Tierheit ist der Beitrag, den wir Tierschützer in die Diskussion um die Zukunft nach Corvid 19 einbringen können und müssen.

Das Leiden der Tiere geht ja weiter auch in Corona-Zeiten. 17 Millionen Nerze zu töten ist legales Unrecht. Schweine weiter zu besamen, wenn es sowieso zu viele gibt in den Ställen der deutschen Landwirte, ist legales Unrecht. Rinder in Länder zu exportieren, wo sie ohne Betäubung geschlachtet werden, ist legales Unrecht.

Das und noch vieles andere müssen wir sagen, laut und deutlich, aber immer aus der Empathie unseres Herzens heraus. Unser Kerngeschäft ist eben nicht die Kritik an Politik und Gesellschaft, unser Kerngeschäft ist die Empathie mit den Tieren.  Und wenn wir dieses Mitgefühl in unsere verängstigte, unsichere Gesellschaft tragen können, dann haben wir einen wichtigen Beitrag für eine gute Zukunft von Mensch und Tier geleistet. 

Weil Journalisten so viel Macht haben, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, tragen sie eine besondere gesellschaftliche Verantwortung - auch gegenüber den Tieren.   

Eine große deutsche Zeitung veröffentlichte kürzlich im Reiseteil eine Reportage über Portugal, in der das Fangen, Zubereiten und Essen von Tintenfischen eine große Rolle spielt. Verschiedene Rezepte werden ausführlich beschrieben, zum Beispiel: "Der Renner in dieser Saison ist im Ofen gegarter Krake mit Aprikosen und Mandeln". Der Artikel wird illustriert mit dem Farbfoto eines großen (also alten) Tintenfisches mit der Unterschrift: "Nicht sehr schön, aber sehr delikat: Der Krake ist ein Stammgast in Portugals Küche."

Tintenfische sind hochintelligent, lern- und leidensfähig und haben ein komplexes Sozialverhalten Sie lösen schwierige Probleme, benutzen dazu Werkzeuge und können sich mehrere Monate lang an die erarbeitete Lösung erinnern. Sie empfinden Langweile und erfinden Spiele. Vor allem aber ist jeder Einzelne ein Individuum mit unterschiedlichen Persönlichkeits- und Charakter-Eigenschaften. Das alles ist längst erforscht und kann nachgelesen werden.

Und so ein unersetzliches, einmaliges Individuum, das unter großen Schmerzen und Angst gefangen und umgebracht bzw. lebendig in ein Restaurant verkauft wird,

das wird nun von einem Journalisten als "Stammgast in Portugals Küche" bezeichnet. Ignoranz? Das sollte so massiv bei einem Journalisten mit Internetzugang nicht vorkommen. Mangelndes Einfühlungsvermögen? Das ist menschlich und daher verstehbar, auch emotionale Kapazitäten sind begrenzt. Andererseits: Respekt geht doch eigentlich immer… Oder Hohn und Spott? Das wäre unverzeihlich.

Zum Vergleich: in der gleichen Zeitung finden wir in im Feuilleton einen Artikel über die Systemrelevanz von Hunden in der Coronakrise und im Technik-Teil die Beschreibung einer Probefahrt: Mit dem Formentor bricht die heißblütige Tochter von SEAT in ein eigenes Dasein auf.

Muss das wirklich sein? Ermordete Tintenfische werden zu Stammgästen, Hunde sind (im Gegensatz zu andern Tieren) systemrelevant und Maschinen kommen als heißblütige Töchter mit eigenem Dasein daher.

Das ist ein sprachliches Chaos, das den Tieren großes Unrecht antut, und das vermeidbar ist, wenn wir endlich lernen, von den Tieren her zu denken und zu formulieren. Im Hinblick auf Frauen und Mädchen geht es ja auch, langsam und holprig, aber eindeutig in die richtige Richtung.

Wer könnte besser positioniert sein, bei den Tieren den Anfang zu machen als Journalisten?

Mein Herzensanliegen im Hinblick auf Tierschutz war und ist, für die "Würde der Tiere" einzutreten. Und nun nach über 3 Jahrzehnten muss ich ehrlicherweise zugeben, dass mein jahrelanges emotionales und professionelles Engagement zwar einiges zum Guten für Tiere bewirken konnte, aber die Chancen für eine gesellschaftliche Veränderung im Hinblick auf mehr Respekt vor Tieren habe ich leider überschätzt.
Bei Tierschutz und Tierrechten geht es um Gesetze und deren Vollzug. Das lässt sich regeln, hoffentlich in Zukunft auch so, dass Konflikte nicht mehr auf dem Rücken der Amtstierärzte ausgetragen werden. Es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass sich kompetente Juristen Seite an Seite mit Veterinären und Tierschützern für Tiere einsetzen. Für wirksamen Schutz und bessere Gesetze kann und muss man mit demokratischen Mitteln kämpfen.
Ein in der Verfassung verankerter Anspruch auf Respekt vor einer Tierwürde (wie es die Schweiz seit 20 Jahren festschreibt) ist etwas qualitativ anderes. Das ist eine Vision und zwar eine, die noch viel weiter von der Wirklichkeit entfernt ist als die Vision einer Menschenwürde.
Es gibt zwar eine Fülle philosophischer Literatur über Tierrechte und Tierwürde, aber das meiste davon ist praxisfern und ohne Konsequenzen, die bei den Tieren auch wirklich ankommen. Das Leid der "Nutz"tiere ist in den letzten 25 Jahren unaufhaltsam größer geworden, einmal weil es jedes Jahr mehr Tiere sind , die weltweit landwirtschaftlich "genutzt" werden, und zum andern weil Europa und die USA ihre industriellen Haltungssysteme und das damit verbundene Tierleid global vermarkten. Die weltweite Praxis bei Haltung, Transport und Schlachtung ist so grauenvoll, dass an Tier-Würde in dem Bereich überhaupt nur zu denken, völlig absurd ist.
Und dennoch, obwohl das hoffnungslos, wirkungslos und sinnlos erscheint, dennoch

  • können wir als Einzelne unsere Sprache überprüfen und "Herde" sagen, statt "Bestand" und "sterben" statt "verenden"
  • können wir, wenn es um Naturschutz geht, das Individuum wertschätzen, egal ob die Art gefährdet ist oder nicht
  • können wir prüfen, ob wir eine moralisch aufgepeppte 24 Stunden peep show im Stall oder im Zoo erlauben oder nur einige Stunden elektronische Besuchszeit
  • können wir entscheiden, welche Fotos von Tieren in höchster Not wir veröffentlichen und welche nicht
  • können wir Hund oder Katze als Individuen behandeln, deren Lebenssinn eben nicht darin besteht, unsere Bedürfnisse nach Kontakt, Macht oder Spaß zu erfüllen

Dieses "dennoch" ist nur ein winziges Zeichen des Respektes vor der Würde der Tiere. Aber es ist ein "dennoch" des Glaubens an eine gute Zukunft für Menschen und Tiere. Und darin liegt meiner Erfahrung nach eine große Kraft und manchmal sogar ein wundersames Glück.

 

Aus meiner Kinderzeit kenne ich das "Resteessen", das immer dann stattfand, wenn meine Mutter genügend Überbleibsel gesammelt hatte, um daraus eine neue Mahlzeit zu zaubern. Lebensmittel wegzuwerfen war keine Option, und ich kann das bis heute nicht.
Mittlerweile lebe ich in Deutschland in einer Gesellschaft, deren wachsender Wohlstand mit immer größerer Lebensmittelverschwendung einhergeht. Bei uns sind die Kosten für Lebensmittel im Vergleich zu anderen Konsumgütern relativ niedrig. Das hat Auswirkungen auf die Menge, die gekauft und als überflüssig entsorgt wird. Und so landen jährlich 12 Millionen Tonnen Lebensmittel in Deutschland im Müll, der weitaus größere Anteil in den Tonnen der Haushalte, nicht in den Containern der Supermärkte.
Das scheint zu bestätigen, daß die Politiker recht haben, die mit langem Finger auf "den Verbraucher" zeigen, der Billig-Fleisch, Billig-Eier, billig, billig, billig will und davon viel.
Der Verbraucher will das so. Der Verbraucher nimmt das Tier-Elend in Kauf. Dem Verbraucher ist außer den Preisen alles egal. Der Verbraucher ist überhaupt ganz schlimm, unbelehrbar, raffgierig, ohne Umweltbewußtsein und völlig emotionslos im Hinblick auf Tierleid…
Der Verbraucher muss sich ändern, dann wird alles gut!
Ich habe gegenüber dieser Schuldzuweisung erhebliche Zweifel.
Wer genehmigt denn diese Un-orte von Schlachthöfen mit Leiharbeitern und der Tötung und Verarbeitung von bis zu 30.000 Schweinen am Tag?
Wer bezuschußt die Massentierhaltung, die für Gift im Grundwasser, Bienensterben und Antibiotika in Lebensmitteln verantwortlich ist?
Wer erteilt Nutzungsgenehmigungen für die Netzkäfige der marinen Fischproduktion, die nur mit Großeinsatz von Pestiziden funktionieren und Sojafutter aus Südamerika?
Wer verteilt jährlich riesige Summen an Steuergeldern allein dafür, dass ein Landwirt Land bewirtschaftet, egal wie?
Das ist doch nicht der Verbraucher. Das sind auch nicht wirklich die Minister A, B oder C. Sie sind als Personen beliebig austauschbar. Und als Funktionsträger etwa im Landwirtschaftsministerium haben sie nur eine Aufgabe: den Profit zu vermehren im Dienst eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, dessen Credo die Steigerung von Produktion und Verbrauch ist, also "mehr" von allem. Dieses System ist unabhängig von den Personen, die ihm dienen und absolut veränderungsresistent. Unter anderem deshalb, weil der Verbraucher, also Sie und ich, null Einfluss auf die Produktion haben. Wir sind aber ständig mit einer psychologisch äußerst raffinierten Werbung konfrontiert, die uns "billig, billiger, am billigsten" anpreist.
Wenn wir das Resteessen wiedereinführen, wenn wir mehr bezahlen für Lebensmittel und weniger kaufen, dann tut uns das gut, wir erobern uns sozusagen die Herrschaft über unseren Teller zurück. Aber das ändert nichts für die Tiere, nichts für die Landwirte, nichts für das Klima, nichts für die arme verletzte Erde. Was wir in Deutschland nicht kaufen, wird exportiert in alle Welt, lebend oder tot. Irgendein Abnehmer findet sich immer. Das ist schon bei Industriegütern im Hinblick auf die Produktionsketten höchst fragwürdig. Im Hinblick auf Tiere und deren Leben ist es einfach nur falsch.
Das ist keine schöne Erkenntnis. Aber es ist zumindest ehrlich. Und eine Wahrheit anzuerkennen ist oft der erste Schritt zur Veränderung. Wahrheit macht nämlich frei, und das mögen Systeme nicht.

Derzeit wird – soweit das Corona Geschehen dazu noch Raum läßt - in der Öffentlichkeit mehr über Tierschutz diskutiert als in vergangenen Jahren.
Tierwohl, Tierrechte, Tierhaltung beschäftigen viele Bürger und finden Ausdruck in wissenschaftlichen Gutachten, den sozialen Medien und der allgemeinen Berichterstattung.
Wieso kommt davon fast nichts bei den Tieren an?
Das Artensterben geht weiter und hat ein historisches Ausmaß erreicht. Die Zahl der in der Agrarindustrie "genutzten" Tiere steigt von Jahr zu Jahr. Die Zahl der von Umweltkatastrophen und Kriegen betroffenen Tiere wird zwar nicht erfasst, ist aber mit Sicherheit noch viel größer als die Zahl der toten, verletzten, heimatlosen Menschen.
Der Spezies Tier geht es schlecht auf diesem Planeten, obwohl es erhebliche globale Anstrengungen gibt, das zu ändern. Wissenschaftliche Forschung, finanzieller Aufwand, guter Wille, tatkräftiges Engagement – irgendwie läuft das fast alles ins Leere.
Dafür gibt es viele Gründe. Ich möchte hier einen davon näher beleuchten.
Die westliche Welt schafft es nicht, den Tierschutz vom Tier her zu denken. Das hat vor allem mit den jüdisch-christlichen Grundlagen unserer Kultur zu tun, wo der Mensch als von Gott eingesetzter Herrscher über die Schöpfung gesehen wird Es ist der Theologie in 2000 Jahren nicht gelungen, bestimmte biblische Aussagen anders auszulegen als machtorientiert. Wir sind in Bezug auf Tierethik im Mittelalter stehen geblieben. Und als Erben dieser Tradition begegnen wir Tieren (fast) ausschließlich vom unserem – wie wir glauben - überlegenen menschlichen Standpunkt aus.
Die wichtigste Frage im Hinblick auf Tierschutz in der europäischen Landwirtschaft ist:
Welchen Nutzen oder Schaden hat das für die Landwirte?
Ähnlich beim Artenschutz:
Wieviel bringt die Artenvielfalt für eine Biodiversität, ohne die uns Menschen demnächst die Luft ausgehen wird? Beim Schutz für Meeressäuger wird erst mal darüber gestritten, was das für die Fischereirechte bedeutet. Die Liste ist endlos…
Auch unsere Gesetzgebung ist fast immer so verfasst, dass die Interessen von Menschen Priorität haben. Kommt es etwa zum Konflikt zwischen menschlicher Religionsfreiheit und Tierschutz, dann ist die Religionsfreiheit das größere Rechtsgut. Und wer als Amtsveterinär schon einmal eine Bestandsräumung durchsetzen wollte, weiß, wie schwierig es ist, die Mindestinteressen der Tiere vor Gericht zu vertreten.
Tierschutz vom Tier her zu denken scheint der schöne Traum von einer besseren Welt.
Nun haben Träume aber eine eigene, verborgene Dynamik, die sich manchmal ganz unverhofft zeigt. In der englischen Sprache wird häufig nicht von Menschen und Tieren, sondern von "human and non-human animals" geredet, von" menschlichen und nicht-menschlichen Tieren". Das bedeutet, der verbindende Oberbegriff ist animal. Um welche Art von Tier es geht, muss dann näher definiert werden.
Hier kommt die Sprache dem Anliegen, Tierschutz vom Tier her zu denken, ganz nahe. Wir stehen als Bewohner dieser Welt erst mal auf derselben Stufe, nämlich der tierlichen. Und dann erst kommen die Unterschiede, weil verschiedene Spezies verschiedene Bedürfnisse und Fähigkeiten haben.
Wir Menschen sind als Spezies tragisch erfolgreich bis zur Selbstvernichtung. Aber eine menschliche Fähigkeit ist eben auch, dass wir uns in andere hinein versetzen können. Das bedeutet, wir haben die intellektuelle und emotionale Möglichkeit, Tierschutz vom Tier her zu denken und entsprechend zu handeln.
Das können wir üben, jeder einzelne von uns. Und möglicherweise liegt genau darin dann die Rettung für alle.

Dazu mehr im nächsten "Denkanstoß".

Pferdegulasch in brauner Sauce. Engländer sind geschockt. Schweizer kaufen die Zutaten im Supermarkt.
Schweineschnitzel mit Pommes frites. Fromme Muslime wenden sich entsetzt ab. Vielen Deutschen läuft das Wasser im Mund zusammen.
Hundefondue scharf gewürzt. Österreichern wird vermutlich schlecht. Für viele Vietnamesen ist das eine Delikatesse.
Gartenammer in Weinbrand ertränkt. Die meisten Holländer finden das eklig. Für manche Franzosen ist es eine Delikatesse.
Welches Tier Menschen essen, wird ganz willkürlich festgelegt. Es hängt mit der Kultur der Völker zusammen, mit ihren Traditionen, Essgewohnheiten und Lebensbedingungen.
Ob Rindergulasch, Schweinegulasch oder Pferdegulasch, ob Hühnchenragout, Hummersalat, Rotkehlchen am Spieß – es werden immer Tiere gequält und getötet für diese "Lebensmittel".
Mit moralischen Bedenken kommt man da nicht weiter, und mit Logik auch nicht. Denn über Traditionen, die seit Jahrhunderten kulturell fest verankert sind, kann man kaum streiten. Essgewohnheiten verändern sich erst in vielen Generationen, meist durch äußere wirtschaftliche Zwänge.
Ich gehe mit dem Problem so um, wie mit anderen Absurditäten auch: Ich versuche so ehrlich zu sein wie möglich.
Einsicht Nr. 1: Es gibt keinen besseren oder schlechteren Fleischkonsum, weil es immer ein Individuum ist, das dafür getötet wird. Ob das nun Peterle das Kalb, Felix der Hund, oder Moritz der Buchfink ist - jedes Tier hat nur ein Leben. Und wer Fleisch verzehrt, ist mit dem Tod eines Lebewesens einverstanden. Welcher Gattung dieses Tier angehört, ist völlig unerheblich. Schwein zu essen ist moralisch betrachtet keineswegs etwas anderes als Hund zu essen oder Singvogel.
Einsicht Nr. 2: Emotional und kulturell verankerten Essgewohnheiten ist weder ethisch noch intellektuell beizukommen. Denken wir an das Gänseessen in christlichen Ländern am St. Martinstag. Der Heilige Martin verdankte einer Gänseherde sein Leben. Und nun werden zu seinen "Ehren" seit Jahrhunderten im November Gänse gebraten. Logisch ist das nicht. Es ist Tradition.
Einsicht Nr. 3: Es geht überhaupt nicht um Ernährung. Es geht nicht darum, wer was isst, und der ganze Streit um vegan oder vegetarisch, um Fleisch von Tierwohl-Tieren oder Fleisch aus Massentierhaltung ist ein großes Scheingefecht. Das ethische Thema, um das es hier wirklich geht und um das sich die meisten Menschen drücken, ist die Würde der Tiere.
Schwalbe und Schwein, Pferd und Pute – jedes hat seine eigene Würde. Und ob ich die respektiere, zeigt sich in vielen kleinen Alltagsgewohnheiten. Wie rede ich über Tiere? Wie definiere ich ihren Wert? Wie verhalte ich mich, wenn sie mich so richtig nerven? Essen ist nur ein (wichtiger) Teil dieser Alltagsgewohnheiten. Ich lebe vegan, aber mir ist ein "Würstchenesser", der die Tierwürde in seinem Alltag respektiert, sympathischer als ein hardcore Veganer, der über Tiere redet als wären sie Gegenstände. Wer tierische Produkte ablehnt, macht eine wichtige politische Aussage, die Respekt verdient.
Genauso wie etwa auch Wehrdienstverweigerung eine wichtige gesellschaftliche Position war. Den Krieg konnten Pazifisten jedoch leider nicht abschaffen. Und wer glaubt, dass sein persönlicher Fleischverzicht auch nur einem einzigen Tier das Leben rettet, hat von der Fleischproduktion im kapitalistischen Wirtschaftssystem keine Ahnung.
Aber das ist ein neues Thema…

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