Justitia vor einem Bücherregal

Juristische Ausarbeitungen von Dr. Christoph Maisack

Hier können Sie interessante Ausarbeitungen von Dr. Christoph Maisack nachlesen:

Zur Auslegung von § 13a Abs. 1 Nr. 2 TSchNutztierhaltungsVO in der Fassung der Sechsten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-NutztierhaltungsVO vom 14. 4. 2016 (Festsetzung einer Höhe von min 2m)

Zu der Sechsten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (6. TierSchNutztVÄndV) vom 14. 4. 2016 (BGBl. I S. 758 Nr. 18) ist an die Landesbeauftragte für Tierschutzangelegenheiten im Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz folgende Anfrage herangetragen worden:

Kann § 13a Abs. 1 Nr. 2 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) in der Fassung der Sechsten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (6. TierSchNutztVÄndV ) so ausgelegt und verstanden werden, dass es jedenfalls in Haltungen, in denen für die Legehennen tagsüber uneingeschränkt Zugang zu einem Auslauf von mindestens 4 m² pro Henne besteht (Freilandhaltungen), ausreichend ist, wenn die angeordnete Höhe der Haltungseinrichtung von mindestens 2 Metern von ihrem Boden aus gemessen lediglich in einem Teil der Haltungseinrichtung erreicht wird, oder muss die Höhe von 2 Metern über dem Boden in der gesamten Haltungseinrichtung erreicht werden?

Hintergrund dieser Anfrage ist, dass in diesem Punkt offenbar keine einheitliche Verwaltungspraxis besteht. Ein Teil der Veterinärämter lehnt Haltungseinrichtungen, die über ein abgeschrägtes Dach verfügen und in denen infolge der Dachschräge die Höhe von 2 Metern über dem Boden nicht in der gesamten Haltungseinrichtung erreicht wird, unter Hinweis auf § 13a Abs. 1 Nr. 2 TierSchNutztV ab, auch dann, wenn die Legehennen tagsüber Auslauf ins Freie haben. Andere vertreten die Auffassung, dass es zumindest dann, wenn den Hennen tagsüber uneingeschränkt Zugang zu einem Auslauf von mindestens 4 m² pro Henne gewährt wird – also in Freilandhaltungen – ausreichend ist, wenn die Höhe von 2 Metern über dem Boden lediglich in einem Teil der Haltungseinrichtung erreicht wird, sofern dieser ausreichend groß ist, um die Hennen kontrollieren und auch auf sie zugreifen zu können.

Für die zuletzt genannte Auslegung – dass also jedenfalls bei Freilandhaltung ausreichend ist, wenn die Höhe von 2 Metern nur in einem ausreichend großen Teil der Haltungseinrichtung erreicht wird – kann sprechen, dass der Verordnungstext – wenn die Mindesthöhe an keiner Stelle unterschritten werden dürfte – lauten würde:

„Haltungseinrichtungen müssen an jeder Stelle eine Höhe von mindestens 2 Metern, von ihrem Boden aus gemessen, aufweisen“,

oder auch

„Haltungseinrichtungen dürfen an keiner Stelle eine Höhe von weniger als 2 Metern, von ihrem Boden aus gemessen, aufweisen“.

So war in § 2 Abs. 1 Nr. 3 der alten (vom Bundesverfassungsgericht mit Urt. v. 6. 7. 1999 für nichtig erklärten) Hennenhaltungsverordnung von 1987 mit Bezug auf die damalige Mindesthöhe explizit angeordnet, dass die lichte Höhe des Käfigs „an keiner Stelle weniger als 35 Zentimeter betragen“ dürfe. Demgegenüber fehlt in der jetzigen Verordnung eine sich auf die gesamte Haltungseinrichtung beziehende Formulierung wie „an jeder Stelle“ oder „an keiner Stelle“. Dies lässt die Auslegung vertretbar erscheinen, dass es – jedenfalls wenn sich der Lebensraum der Hennen nicht auf den Stallraum beschränkt, weil ihnen tagsüber Auslauf ins Freie gewährt wird – genügt, dass die festgesetzte Mindesthöhe nur in einem Teil der Haltungseinrichtung erreicht wird, vorausgesetzt dass dessen Fläche so groß ist, dass die Zwecke, die mit der Festlegung der Mindesthöhe vom Verordnungsgeber verfolgt worden sind, ungeschmälert erreicht werden.

Der Zweck der Festsetzung einer Mindesthöhe von 2 Metern wird in der amtl. Begründung zur Sechsten Änderungsverordnung wie folgt beschrieben (Bundesrats-Drucksache 112/15 <B> S. 9: „Die Mindesthöhe … soll sicherstellen, dass der Tierhalter die Haltungseinrichtung betreten kann und zum Zweck der Tierkontrolle einen direkten Zugriff auf jedes Tier hat“. Dieser Zweck macht es nicht unbedingt erforderlich, dass die Höhe von 2 Metern an jeder Stelle der Haltungseinrichtung erreicht wird. Er wird vielmehr auch dann gewahrt, wenn die angeordneten 2 Meter nur in einem Teil der Haltungseinrichtung erreicht werden, sofern dieser Teil groß genug ist, um dem Halter zu ermöglichen, die Haltungseinrichtung zu betreten, sich darin normal zu bewegen und von dem genannten Teilbereich aus alle in der Einrichtung befindlichen Tiere zu sehen und auch auf solche Tiere, die sich in dem niedrigeren Bereich befinden, problemlos zu Kontrollzwecken zuzugreifen.

In die gleiche Richtung weist der in der Begründung der Verordnung enthaltene Hinweis darauf, dass die jetzt festgelegte Mindesthöhe „der Regelung der Verordnung in der Fassung vor der Ergänzung der jetzt vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Regelungen“ entspreche. Gemeint ist damit die Erste Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Dort war in § 13 Abs. 2 Nr. 1 eine Mindesthöhe von „200 Zentimetern, vom Boden aus gemessen“ festgesetzt worden, um – wie in der der amtlichen Begründung (BR-Drucks. 429/01 S. 15) formuliert worden war – den Hennen raumgreifende Bewegungen wie z. B. das Flügelschlagen zu ermöglichen. Zumindest in Freilandhaltungen, in denen sich die Hennen während des ganz überwiegenden Teils des Lichttags im Freien aufhalten, besteht genügend Möglichkeit zum Flügelschlagen und zu anderen raumgreifenden Bewegungen, auch dann, wenn im Stallraum infolge einer Dachschräge die angeordneten 200 cm nicht überall erreicht werden. Auch dieser Regelungszweck erfordert es also nicht, die Einhaltung der Höhe von 2 Metern im gesamten Stallraum uneingeschränkt zu verlangen. Anders kann man das in Haltungen sehen, in denen der gesamte Lebensraum der Hennen auf das Innere des Stalls beschränkt ist.

Vorbehaltlich anderslautender richterlicher Entscheidungen erscheint es deshalb vertretbar, § 13a Abs. 1 Nr. 2 TierSchNutztV in der Fassung der 6. TierSchNutztVÄndV dahingehend auszulegen, dass es jedenfalls in Legehennenhaltungen mit einem tagsüber uneingeschränkten Zugang zu einem Auslauf von mindestens 4 m² pro Henne genügt, wenn die angeordnete Mindesthöhe in einem Teil der Haltungseinrichtung erreicht wird, sofern dieser ausreichend groß ist, um von dort aus die effektive Kontrolle aller im Stall befindlichen Hennen zu ermöglichen.

Dr. Christoph Maisack 

Welche Auswirkungen haben Gerichtsurteile auf andere Verfahren in ähnlicher Sache?

Welche Auswirkungen haben gerichtliche Entscheidungen, die zwischen bestimmten Parteien ergehen und einen bestimmten Streitgegenstand betreffen, auf Verfahren vor anderen Gerichten/Behörden, in denen es um andere Parteien und andere Streitgegenstände geht?

1. Obergerichtliche Entscheidungen (also insbesondere Urteile und Beschlüsse der Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe und der Oberlandesgerichte) haben für andere Verfahren und andere Streitgegenstände eine zumindest faktische Bindungswirkung.

Das liegt daran, dass es guter Brauch bei den nachgeordneten Gerichten und Behörden (insbesondere also bei den Verwaltungsgerichten und den Amts-/und Landgerichten) ist, sich an der Rechtsprechung ihrer Obergerichte in vergleichbar gelagerten Fällen zu orientieren. Denn jeder nachgeordnete Richter muss damit rechnen, dass das Obergericht an seiner Rechtsprechung festhalten und deshalb Entscheidungen von nachgeordneten Gerichten und Behörden, die davon abweichen, im Rechtsmittelverfahren entsprechend abändern oder aufheben wird. Die Orientierung an der obergerichtlichen Rechtsprechung verhindert also die Abänderung bzw. Aufhebung der eigenen Entscheidungen in einem anderenfalls stattfindenden Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahren, vermeidet für die Prozessbeteiligten die mit diesen Verfahren verbundenen Kosten und gibt dem rechtssuchenden Bürger ein notwendiges Stück Rechtssicherheit (vgl. dazu Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke-Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz 13. Aufl. 2014, Vorb. v. Art. 92 Rdnr. 70).

2. Auch den Entscheidungen anderer, gleichgeordneter Gerichte (Verwaltungsgerichte, Land- oder Amtsgerichte) kommt, soweit es dabei um die Auslegung gesetzlicher Rechtsbegriffe oder Generalklauseln geht, für andere Gerichte eine faktische Bindungswirkung zu.

Das liegt daran, dass jeder Richter – wenn er zur Lösung eines ihm vorgelegten Rechtsstreits einen unbestimmten Rechtsbegriff oder eine Generalklausel, die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen häufig enthalten sind, auslegen und auf den zu entscheidenden Fall anwenden oder wenn er in Anwendung eines Gesetzes eine Abwägung zwischen widerstreitenden Gütern und Interessen vollziehen muss – ganz automatisch nach Erkenntnisquellen sucht, die ihm dabei helfen können.

Solche Erkenntnisquellen sind für ihn in erster Linie die Urteile und Beschlüsse, die andere Gerichte in ähnlich gelagerten Fällen erlassen haben. Wenn die Gesetzesauslegung, die das andere Gericht dabei vorgenommen hat, oder die Abwägung der widerstreitenden Güter und Interessen schlüssig und nachvollziehbar begründet worden ist, wird sich jeder Richter daran halten, zumal er, wenn er seiner Entscheidung eine andere Gesetzesauslegung oder ein gegenteiliges Abwägungsergebnis zugrunde legen will, sich mit der Entscheidung des anderen Gerichts argumentativ auseinandersetzen und mit guten Argumenten begründen muss, weshalb er von ihr abweicht. Daraus folgt zugleich, dass die faktische Bindungswirkung der Entscheidung eines Gerichts umso stärker ist, je mehr es seine Gesetzesauslegung bzw. seine Güter- und Interessenabwägung mit guten, der juristischen Methodenlehre entsprechenden Argumenten begründet hat.

Obwohl also erstinstanzliche richterliche Entscheidungen unmittelbar nur für die Parteien des Verfahrens, in dem sie ergangen sind, rechtsverbindlich sind, bilden sie für andere Rechtsanwender in Justiz und Verwaltung als Präjudizien eine willkommene Erkenntnisquelle für ähnlich gelagerte Fälle und werden deshalb in der Praxis von den Gerichten und Behörden entsprechend verwendet (vgl. dazu Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke-Hopfauf a.a.O., Rdnr. 67).

Rechtsmethodisch ist diese Vorgehensweise von Karl Larenz in seinem Buch „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ (Berlin-Heidelberg-New York 1991, Kapitel 5, 5) folgendermaßen begründet worden:

Gerichte entscheiden Einzelfälle. Dies geschieht meistens durch Gesetzesauslegung (Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln), manchmal auch durch Lückenausfüllung und Rechtsfortbildung. Nicht selten ist es möglich, dem Tenor oder den Gründen einer solchen gerichtlichen Entscheidung einen oder mehrere Rechtsgrundsätze (sog. Maximen) zu entnehmen, auf dem/denen die Entscheidung ersichtlich beruht und der/die auch auf andere, gleich oder ähnlich gelagerte Fälle oder Abwägungssituationen angewendet werden kann/können. In diesem Fall kann man die Entscheidung als „Präjudiz“, d. h. als beispielgebend verwenden. Einen konkreten Fall anhand von Präjudizien zu entscheiden heißt, auf ihn eine Entscheidung anzuwenden, in der über dieselbe Rechts- oder Abwägungsfrage aufgrund eines anderen, ähnlich gelagerten Falles bereits einmal entschieden worden ist.

Dabei wird in vier gedanklichen Schritten vorgegangen:

In einem ersten Schritt macht man sich klar, über welchen konkreten Sachverhalt das Gericht, dessen Entscheidung als Präjudiz verwendet werden soll, entschieden hat, und welche Rechtsfolge, welche Gesetzesauslegung oder welches Abwägungsergebnis es dabei gefunden hat.

Als zweiten Schritt versucht man, dieser Entscheidung einen (zumeist unausgesprochenen, manchmal aber auch vom Gericht selbst zu Veröffentlichungszwecken formulierten) Leitsatz (sog. Maxime) zu entnehmen, der – insbesondere in Tierschutzfällen – eine bestimmte Vorrangrelation festlegt, der also besagt, unter welchen Voraussetzungen bei einer Kollision bestimmter menschlicher Nutzungsinteressen mit bestimmten tierlichen Wohlbefindens- und Integritätsinteressen der einen oder anderen Interessengruppe der Vorrang gebühren und bis zu welcher Grenze dieser Vorrang gehen soll.

Als dritten Schritt untersucht man den jetzt zu entscheidenden Fall darauf, in welchen Merkmalen er sich von demjenigen Fall, über den das zuvor genannte Gericht entschieden hat, unterscheidet, und stellt zugleich fest, ob diese Unterscheidungsmerkmale für die vorzunehmende Bewertung wesentlich oder unwesentlich sind. Soweit bewertungsrelevante Unterscheidungsmerkmale bestehen, kann die Maxime auf den jetzt zu entscheidenden Fall nicht oder nicht ohne Modifikation angewendet werden („distinguishing“, im Anschluss an Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Suhrkamp 1996 S. 340). Bei nicht bewertungsrelevanten Unterscheidungsmerkmalen wird sie unverändert angewendet.

Als vierten Schritt überlegt man abschließend, ob die im zweiten Schritt ausformulierte Maxime zutreffend ist, d. h. ob sie sich als Ergebnis einer sachlich richtigen Gesetzesauslegung bzw. einer dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprechenden Güter- und Interessenabwägung darstellt und ob sie grundgesetzkonform ist. Dabei kann es bei Gerichtsentscheidungen aus der Zeit vor 2002 auch sein, dass in der Entscheidung den Auswirkungen des verfassungsrechtlichen Staatsziels Tierschutz in Art. 20a GG, das erst am 1. 8. 2002 in Kraft getreten ist, und dem damit verbundenen „erhöhten rechtlichen Stellenwert der Belange des Tierschutzes“ (so Kloepfer/Rossi, Juristenzeitung 1998 S. 374) noch nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Wenn sich auf diese Weise ergibt, dass eine entscheidungsleitende Maxime nicht oder nicht mehr oder jedenfalls nicht ohne eine Modifikation angewendet werden kann, muss man auf ihre Anwendung verzichten oder sie entsprechend modifizieren („overruling“ im Anschluss an Alexy a.a.O.).

Erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen und die dahinter stehenden Rechtsgrundsätze werden also von Gerichten und Behörden in dieser Weise als „Präjudizien“ auf vergleichbar gelagerte Sachverhalte angewendet, soweit nicht bewertungsrelevante Unterschiede eine Abweichung von dem Präjudiz erforderlich machen („distinguishing“) oder sich ergibt, dass das Präjudiz nicht oder nicht mehr einer sachgerechten Gesetzes- bzw. Verfassungsauslegung entspricht („overruling“). Indes gilt: Wer ein solches „distinguishing“ oder „overruling“ für notwendig hält, trägt dafür die Argumentationslast, d. h. er muss eine solche Notwendigkeit begründen und belegen (vgl. Alexy a.a.O. im Anschluss an Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, Berlin 1976 S. 246, 286).

Dr. Christoph Maisack

Keine Anbringung des EU-Bio Logos auf Fleischerzeugnissen von Tieren, die ohne vorherige Betäubung rituell geschlachtet worden sind

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil v. 26. 2. 2019 (Rechtssache C-497/17) entschieden, dass die EU-Öko-Basisverordnung Nr. 834/2007 – insbesondere ihr Art. 3 und ihr Art. 14 Abs. 1 Buchstabe b Ziff. viii – im Licht des Tierschutzartikels der EU, Art. 13 AEUV, dahin auszulegen sei, dass sie die Anbringung des EU-Bio-Logos auf Erzeugnissen, die von Tieren stammen, die ohne vorherige Betäubung einer rituellen Schlachtung unterzogen wurden, nicht gestattet.

Eine französische Tierschutzorganisation („Hilfswerk für Schlachttiere“) hatte beim französischen Landwirtschaftsminister erfolglos beantragt, die Verwendung des EU-Bio-Logos auf Rinderhacksteaks, die aus betäubungsloser „halal“-Schlachtung stammten, zu beenden. Auch das hiergegen angerufene Verwaltungsgericht in Montreuil hatte den Antrag der Tierschutzorganisation zurückgewiesen. In der Berufungsinstanz hatte dann des Verwaltungsberufungsgericht Versailles dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die für die Verwendung des EU-Bio-Logos einschlägigen Vorschriften dahin auszulegen seien, dass sie die Anbringung des EU-Bio-Logos auf Produkten verbieten, wenn diese von Tieren stammen, die einer rituellen Schlachtung ohne vorherige Betäubung unterzogen wurden.

Der EuGH hat diese Frage bejaht.

Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass sich die ökologisch/biologische Produktion nach dem ersten Erwägungsgrund der EU-Öko-Basisverordnung durch „die Anwendung hoher Tierschutzstandards“ auszeichnen solle. Im zehnten Erwägungsgrund der dazu ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 889/2009 sei anerkannt worden sei, dass der Tierschutz „bei der ökologisch/biologischen Tierhaltung Priorität“ habe. Auch werde in Art. 3 der EU-Öko-Basisverordnung die Beachtung hoher Tierschutzstandards und die Einhaltung von „Verfahren, die dem Wohlbefinden der Tiere nicht abträglich sind“, angemahnt. Schließlich sei in Art. 5 Buchstabe h der Verordnung die „Beachtung eines hohen Tierschutzniveaus unter Berücksichtigung tierartspezifischer Bedürfnisse“ vorgeschrieben und in Art. 14 Abs. 1 Buchstabe b Ziff. viii die Pflicht festgelegt, das Leiden des Tieres auf ein Minimum zu reduzieren.

Damit habe der Unionsgesetzgeber mehrfach seine Absicht betont, im Rahmen des ökologisch/biologischen Landbaus ein hohes Tierschutzniveau sicherzustellen.

Hinzu komme, dass der Tierschutz das Hauptziel sei, das mit der EU-Schlachtverordnung Nr. 1099/2009 verfolgt werde. Das ergebe sich u. a. aus dem zweiten Erwägungsgrund dieser Verordnung im Einklang mit Art. 13 AEUV, wonach die Union und die Mitgliedstaaten bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung tragen müssten. Zudem sei in den Erwägungsgründen Nr. 4 bzw. Nr. 24 dieser Verordnung von der „Verbesserung des Schutzes von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung“ und von der Förderung „bestimmter Betäubungsverfahren, die für das Tier keine Schmerzen und nur in geringem Umfang Stress oder Leiden verursachen“ die Rede. Außerdem müssten nach Art. 3 die Tiere bei der Tötung „von jedem vermeidbaren Schmerz, Stress und Leiden verschont werden“ und werde in Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit dem 20. Erwägungsgrund der Grundsatz der Betäubung des Tieres vor seiner Tötung zur Pflicht erhoben. Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass die Betäubung die Technik darstelle, die das Tierwohl zum Zeitpunkt der Schlachtung am wenigsten beeinträchtige.

Zwar werde in Art. 4 Abs. 4 der EU-Schlachtverordnung Nr. 1099/2009 die Praxis der rituellen Schlachtung ohne vorherige Betäubung zugelassen, doch sei diese Form der Schlachtung in der EU nur ausnahmsweise erlaubt, um die Beachtung der Religionsfreiheit sicherzustellen. Sie sei „nicht geeignet, Schmerzen, Stress oder Leiden des Tieres genauso wirksam zu mildern wie eine Schlachtung, der eine Betäubung vorausgeht“. Das ergebe sich u. a. auch aus dem 43. Erwägungsgrund der EU-Schlachtverordnung, wo davon gesprochen werde, dass bei der Schlachtung ohne Betäubung ein präziser Halsschnitt mit einem scharfen Messer geführt werden müsse, „damit des Tier nicht so lange leiden muss“. Auch aus dieser Formulierung werde deutlich, dass diese Technik es nicht erlaube, das Leiden der Tiere „so gering wie möglich“ im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchstabe b Ziff. viii der EU-Öko-Basisverordnung zu halten. Die von religiösen Riten vorgeschriebenen speziellen Schlachtmethoden, die ohne vorherige Betäubung durchgeführt würden, seien nicht mit der Schlachtmethode unter vorheriger Betäubung gleichwertig, was die Sicherstellung eines hohen Tierschutzniveaus zum Zeitpunkt der Tötung betreffe.

Würdigung dieses Urteils:
Das Urteil stellt eine Aufwertung des Tierschutzes bei der Auslegung und Anwendung der Rechtsnormen des Unionsrechtes dar.

Das ergibt sich zunächst daraus, dass der Tierschutz nach Überzeugung des EuGH  „das Hauptziel“ der EU-Schlachtverordnung Nr. 1099/2009 bildet.

Es ergibt sich weiter daraus, dass die Argumentation des französischen Landwirtschaftsministers und der an dem Verfahren beteiligten Wirtschaftsverbände, wonach die rituelle betäubungslose Schlachtung weder in der EU-Öko-Basisverordnung noch in der dazu ergangenen Durchführungsverordnung ausdrücklich für unzulässig oder auch nur für bedenklich erklärt worden sei, vom EuGH zurückgewiesen worden ist. Der EuGH hat sich für seine Auslegung sowohl auf die Erwägungsgründe der beiden Verordnungen („hohe Tierschutzstandards“, „Priorität für den Tierschutz“, „hohes Tierschutzniveau“) als auch auf die Erwägungsgründe der EU-Schlachtverordnung („Verbesserung des Schutzes der Tiere zum Zeitpunkt der Schlachtung“, „Förderung bestimmter Betäubungsverfahren, die für das Tier keine Schmerzen und nur in geringem Umfang Stress oder Leiden verursachen“) und auf den Tierschutzartikel des EU-Rechts (Art. 13 AEUV) gestützt. Damit ist klar gestellt, dass sich aus diesen Erwägungsgründen und aus dem Tierschutzartikel – ebenso wie auch aus dem systematischen Zusammenhang mit anderen Vorschriften des EU-Rechts (hier insbesondere Art. 3 der EU-Schlachtverordnung, wonach bei der Tötung die Tiere von jedem vermeidbaren Schmerz, Stress und Leiden verschont werden sollen) – auch solche tierschutzrechtlichen Verpflichtungen ergeben können, die sich nicht bereits eindeutig aus dem Wortlaut einzelner Vorschriften des EU-Rechts ableiten lassen (hier: Verbot der Anbringung des EU-Bio-Logos auf Erzeugnissen aus betäubungsloser Schlachtung, auch ohne ausdrückliche Regelung dieser Frage in der EU-Öko-Basisverordnung).

Klargestellt hat der EuGH auch, dass rituelle betäubungslose Schlachtungen in jedem Fall bei den Tieren zu zusätzlichen vermeidbaren Schmerzen und Leiden führen und dass keine Rede davon sein kann, dass solche Schlachtungen, wenn sie durch Halsschnitt mit einem scharfen Messer durchgeführt werden, die Schmerzen und Leiden der Tiere ebenso wirksam vermeiden könnten wie eine vorherige Betäubung („ … nicht geeignet, Schmerzen, Stress oder Leiden des Tieres genauso wirksam zu mildern wie eine Schlachtung, der eine Betäubung vorausgeht; … dass eine solche Technik <gemeint: präziser Halsschnitt mit einem scharfen Messer> es jedoch nicht erlaubt, das Leiden der Tiere so gering wie möglich zu halten; … Schlachtmethoden ohne vorherige Betäubung … nicht mit der Schlachtmethode unter vorheriger Betäubung gleichwertig, was die Sicherstellung eines hohen Tierschutzniveaus zum Zeitpunkt der Tötung betrifft“).

Schließlich hat der EuGH erneut auf die sich aus dem Tierschutzartikel des EU-Rechts (Art. 13 AEUV) ergebende Verpflichtung der Union und der Mitgliedstaaten hingewiesen, sowohl bei der Festlegung als auch bei der Durchführung der Politik der Union den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Um eine „Durchführung der Politik der Union“ handelt es sich auch dann, wenn eine Gericht oder eine Behörde eine Vorschrift des nationalen Rechtes anwenden, die zur Umsetzung einer EU-Richtlinie in das nationale Recht erlassen worden ist. Mit dieser europarechtlichen Verpflichtung steht die Rechtsprechung des VG Schleswig in unvereinbarem Widerspruch, wonach amtlichen Tierärzten, die in Anwendung der Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung über die Erteilung von sog. Vorlaufattesten für Tiertransporte entscheiden müssen, verboten sein soll, dabei die voraussehbaren tierschutzrechtlichen Auswirkungen, die eine solches Vorlaufattest hat – nämlich die Ermöglichung eines langen Tiertransports, der voraussehbar zu Schmerzen und Leiden bei den Tieren führen wird, sowohl auf dem Transport als auch bei der im Bestimmungsland mit hochgradiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden tierquälerischen Schlachtung – auch nur zu berücksichtigen und diese Auswirkungen im Wege einer Güter- und Interessenabwägung in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen. Ein solches obligatorisches Außer-Acht-Lassen voraussehbarer tierschutzrechtlicher Folgewirkungen eines Verwaltungsakts ist unvereinbar mit der Verpflichtung aus Art. 13 AEUV, den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere bei allen Entscheidungen, mit denen unmittelbar oder mittelbar EU-Recht angewendet wird, in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Durch die Formulierung „in vollem Umfang“ hat der Unionsgesetzgeber deutlich gemacht, dass keiner Behörde und keinem Gericht erlaubt sein soll, solche voraussehbaren Folgewirkungen ihres Handelns auszublenden und auf andere, später entscheidende Behörden oder Gerichte auszulagern. Tierschutz ist nach Art. 13 AEUV und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH eine Verpflichtung, der sich keine Behörde und kein Gericht entziehen darf, auch nicht mit dem Hinweis, dass dafür andere zuständig seien.

Dr. Christoph Maisack

Keine rituellen betäubungslosen Schlachtungen außerhalb von zugelassenen Schlachthören

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil v. 29. 5. 2018 (Rechtssache C-426/16) entschieden, dass die Verpflichtung nach Art. 4 Abs. 4 der EU-Schlachtverordnung Nr. 1099/2009, rituelle betäubungslose Schlachtungen ausschließlich in zugelassenen Schlachthöfen vorzunehmen, die den Anforderungen der EU-Lebensmittelhygieneverordnung Nr. 853/2004 entsprechen, keine Beschränkung des durch Art. 10 der EU-Grundrechte-Charta gewährleisteten Rechts der Muslime auf Religionsfreiheit darstelle.

In Belgien war es durch einen Königlichen Erlass bis Ende 2014 erlaubt, rituelle betäubungslose Schlachtungen sowohl in regulären Schlachthöfen als auch in sog. temporären Schlachtstätten – d. h. in Betrieben, die der zuständige Minister dafür zeitweise zugelassen hatte – durchzuführen oder durchführen zu lassen. Im Juni 2015 hatte der zuständige flämische Regionalminister mitgeteilt, dass künftig Schlachtungen ohne Betäubung – auch solche, die im Rahmen des islamischen Opferfestes stattfänden – nur noch in Schlachthöfen durchgeführt werden dürften, die den Anforderungen der EU-Lebensmittelhygieneverordnung Nr. 853/2004 entsprächen und nach dieser Verordnung zugelassen seien. Dies sei nach Art. 4 Abs. 4 i. V. mit Art. 2 Buchstabe k der EU-Schlachtverordnung Nr. 1099/2009 notwendig, weil danach betäubungslose Schlachtungen ausschließlich in solchen Schlachthöfen durchgeführt werden dürften.

Hiergegen hatten mehrere islamische Vereinigungen und Moschee-Dachverbände Klage zum Niederländischsprachigen Gericht erster Instanz in Brüssel erhoben. In erster Linie hatten sie die Geltung der EU-Schlachtverordnung für rituelle Schlachtungen bestritten, weil nach Art. 1 Abs. 3 Buchstabe a Ziff. iii der EU-Schlachtverordnung die Schlachtung von Tieren bei „kulturellen Veranstaltungen“ von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen sei. Hilfsweise hatten sie geltend gemacht, dass der in Art. 4 Abs. 4 i. V. mit Art. 2 Buchstabe k dieser Verordnung angeordnete Schlachthofzwang gegen die Religionsfreiheit der Muslime verstoße. Das angerufene Verwaltungsgericht hat diese Ansicht geteilt, da es in der Flämischen Region nicht genügend Schlachthöfe gebe, die die Anforderungen der EU-Lebensmittelhygieneverordnung erfüllten, um die während des islamischen Opferfestes bestehende höhere Nachfrage nach Halal-Fleisch  zu befriedigen. Die Umwandlung der bisher zugelassenen temporären Schlachtstätten in solche Schlachthöfe verlange den Muslimen sehr hohe Finanzinvestitionen ab, die auch „auch im Hinblick auf den Mehrwert bei der Beachtung des Tierwohls und der öffentlichen Gesundheit“ unverhältnismäßig seien. Das Gericht hat deswegen dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der in Art. 4 Abs. 4 i. V. mit Art. 2 Buchstabe k der EU-Schlachtverordnung Nr. 1099/2009 angeordnete Schlachthofzwang für rituelle betäubungslose Schlachtungen u. a. gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit in Art. 10 der EU-Grundrechte-Charta verstoße, weil in der Flämischen Region nicht genügend Schlachthöfe vorhanden seien, um die jährlich anlässlich des Opferfestes auftretende Nachfrage nach Halal-Fleisch zu befriedigen, und weil die Belastungen, die mit der Umwandlung der bisher temporär zugelassenen Schlachtbetriebe in Schlachthöfe, die die Anforderungen der EU-Lebensmittelhygieneverordnung erfüllten, in keinem Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen des Tierwohls und der Volksgesundheit stünden.

Der EuGH hat im Gegensatz zu dem vorlegenden Gericht entschieden, dass die in Art. 4 Abs. 4 i. V. mit Art. 2 Buchstabe k der EU-Schlachtverordnung aufgestellte Regel, rituelle betäubungslose Schlachtungen ausschließlich in zugelassenen Schlachthöfen durchzuführen, die die von der EU-Lebensmittelhygieneverordnung aufgestellten technischen Anforderungen erfüllten, keine Einschränkung des Rechts der Muslime auf Religionsfreiheit während des Opferfestes darstelle.

Zur Begründung verwies der EuGH zunächst darauf, dass die Pflicht zur Nutzung zugelassener Schlachthöfe, die den von der EU-Lebensmittelhygieneverordnung Nr. 853/2004 aufgestellten technischen Anforderungen entsprächen, unterschiedslos für jeden Geltung hätten, der Schlachtungen durchführe. Es handle sich dabei um eine technische Vorgabe, die in keinerlei Zusammenhang mit einer bestimmten Religion stehe und somit in nicht diskriminierender Weise alle Erzeuger von Tierfleisch in der EU gleichermaßen betreffe.

Hinzu komme, dass der Unionsgesetzgeber mit dieser Vorgabe einen Ausgleich zwischen der Anerkennung von durch religiöse Riten vorgeschriebenen speziellen Schlachtmethoden und der Einhaltung von in der EU-Schlachtverordnung und der EU-Lebensmittelhygieneverordnung aufgestellten wesentlichen Regeln zum Schutz von Tieren zum Zeitpunkt ihrer Tötung und zum Schutz der Gesundheit aller Tierfleischkonsumenten geschaffen habe. Der Schutz von Tieren sei das hauptsächliche Ziel, das mit der EU-Schlachtverordnung und speziell mit deren Art. 4 Abs. 4 erfolgt werde; das ergebe sich bereits aus dem Titel dieser Verordnung und aus ihrem zweiten Erwägungsgrund. Die Bedeutung des Tierwohls komme auch darin zum Ausdruck, dass die Mitgliedstaaten das Protokoll Nr. 33 zum Tierschutz (jetzt: den Tierschutzartikel in 13 AEUV) angenommen hätten. In diesem Kontext sei der Unionsgesetzgeber davon ausgegangen, dass – um Tieren, die ohne vorherige Betäubung getötet würden, übermäßige und unnötige Leiden zu ersparen – alle rituellen Schlachtungen in einem Schlachthof durchgeführt werden müssten, der nach seinem Bau, seiner Auslegung und seiner Ausstattung alle in der EU-Lebensmittelhygieneverordnung Nr. 853/2004 aufgestellten technischen Anforderungen erfülle. Nur in dieser Art von Schlachthöfen sei es – wie sich sinngemäß aus den Erwägungsgründen Nr. 43 und 44 der EU-Schlachtverordnung ergebe – möglich, die betroffenen Tiere „einzeln und mit geeigneten mechanischen Mitteln“ ruhig zu stellen und den „wissenschaftlichen und technischen Fortschritt“ in diesem Bereich zu berücksichtigen, „damit das Tier nicht so lange leiden muss“.

Die Bedenken des vorlegenden Verwaltungsgerichts hinsichtlich einer möglichen Beeinträchtigung der Religionsfreiheit durch eine unverhältnismäßige finanzielle Belastung, die die betroffenen muslimischen Gemeinschaften für die Umrüstung der bisher zulässigen temporären Schlachtstätten in Schlachthöfe entsprechend den Anforderungen der EU-Lebensmittelhygieneverordnung zu tragen hätten, hat der EuGH als unbegründet zurückgewiesen. Sie seien nicht geeignet, die Schlussfolgerung in Frage zu stellen, dass der in Art. 4 Abs. 4 i. V. mit Art. 2 Buchstabe k der EU-Schlachtverordnung angeordnete Schlachthofzwang keine Einschränkung des Rechts der Muslime auf Religionsfreiheit beinhalte.

­­­­­­­­­­­­­­­­­­Würdigung dieses Urteils:
Auch in diesem Urteil weist der EuGH darauf hin, dass der Schutz von Tieren das „hauptsächliche Ziel“ sei, das mit der EU-Schlachtverordnung Nr. 1099/2009 verfolgt werde. Das ergebe sich u. a. aus dem Titel dieser Verordnung sowie aus ihrem zweiten Erwägungsgrund.

Wichtig ist auch der Hinweis des EuGH, dass in technischen Regelungen, mit denen ein Ausgleich geschaffen werden soll zwischen der Anerkennung von durch religiöse Riten vorgeschriebenen speziellen Schlachtmethoden einerseits und der Einhaltung von wesentlichen Regeln zum Schutz von Tieren und zum Schutz der Gesundheit von Menschen andererseits keine Einschränkung des Rechts auf Religionsfreiheit gesehen werden kann, auch dann nicht, wenn diese Regelungen demjenigen, der seine Religionsfreiheit ausüben will, im Einzelfall „sehr hohe Finanzinvestitionen“ (so das vorlegende Verwaltungsgericht) abverlangen.

Der EuGH macht in diesem Urteil erneut deutlich, dass mit rituellen betäubungslosen Schlachtungen für die Tiere mehr Schmerzen und Leiden verbunden sind als mit dem in Art. 4 Abs. 1 der EU-Schlachtverordnung als Regelform vorgesehenen Schlachten nach vorheriger Betäubung. Das zeigt u. a. sein Hinweis auf den Erwägungsgrund Nr. 43 der EU-Schlachtverordnung, wonach es geboten ist, Tiere, die ohne Betäubung geschlachtet werden, mit mechanischen Mitteln ruhig zu stellen, damit sie nicht so lange leiden müssen. In die gleiche Richtung geht sein Hinweis, dass es bei der Einführung des Schlachthofzwangs durch Art. 4 Abs. 4 der EU-Schlachtverordnung um die Herstellung eines Ausgleichs zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz gegangen sei und dass Regelungen, mit denen ein solcher Ausgleich hergestellt werden solle, nicht als Einschränkung der Religionsfreiheit angesehen werden könnten.

Mit der Zurückweisung der Bedenken des vorlegenden Verwaltungsgerichts, dass die fehlende Kapazität von zugelassenen Schlachthöfen in einer bestimmten Region während des islamischen Opferfestes und der damit einher gehende Zwang für Muslime, ihre bisher für das Schächten temporär zugelassenen Schlachtstätten mit hohen Finanzinvestitionen auf Schlachthöfe, die den Anforderungen der EU-Lebensmittelhygieneverordnung entsprächen, umzurüsten, eine unverhältnismäßige Belastung darstellen könne, macht der EuGH deutlich, dass rein wirtschaftliche Erwägungen – wie hier das Ziel, hohe Kosten einsparen zu wollen – keine Rechtfertigung dafür bilden können, Tieren Schmerzen oder Leiden, die sich mit technischen Mitteln vermeiden lassen, zuzufügen.

Schließlich kommt auch in diesem Urteil die Aufwertung zum Ausdruck, die der Tierschutz mit der seinerzeitigen Annahme des Protokolls Nr. 33 (jetzt: durch die Einführung des gleich lautenden Artikels 13 in den EU-Arbeitsweisevertrag – AEUV) erfahren hat. Dieses höhere Gewicht des Tierschutzes muss sich, wie das Urteil zeigt, bei der Auslegung aller Vorschriften des Unionsrechts auswirken, soweit diese Auswirkungen auf das Wohlergehen von Tieren haben können.

Hinweise zu Anordnungen nach § 16a TierSchG aus juristischer Sicht unter besonderer Berücksichtigung amtstierärztlicher Gutachten

 

Ausführungen anl. Der Tagung „Das amtstierärztliche Gutachten nach § 16a Tierschutzgesetz“ am 15. Juni 2019, in: IHK Potsdam, Breite Straße 2a – c, 14467 Potsdam

Übersicht zu den wesentlichen Fragen, die sich stellen, wenn eine Anordnung nach § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG erlassen werden soll:

  • Verstoß gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen, der schon begonnen hat und fortdauert? Gefahr eines künftigen Verstoßes? (1)
     
  • Richtiger Adressat der Anordnung? (2)
     
  • „notwendige“ Anordnung? (3)
     
  • Entschließungsermessen? Auswahlermessen?(4)
     
  • Bestimmtheit der Anordnung (5)
     
  • Anhörung (6)
     
  • Anordnung sofortiger Vollziehbarkeit (7)
     
  • Begründung (8)
     
  • Vollstreckung (9)

ZU (1) Verstoß gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen, der schon begonnen hat und fortdauert? Gefahr eines künftigen Verstoßes?

Wann ist eine Anordnung „zur Verhütung künftiger Verstöße notwendig“?

Immer wieder zu hörende Formel:

„Besteht die konkrete Gefahr, dass es zu einem tierschutzwidrigen Verhalten oder Vorgang kommen wird, weil eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit zu einem tierschutzrechtlichen Verstoß führen wird, so ist die Behörde zu den notwendigen Anordnungen ermächtigt (vgl. VGH Mannheim, B. v. 9. 8. 2012, 1 S 1281/12, juris Rn. 5; VG Regensburg, GB v. 8. 3. 2017, RN 4 K 16.769, juris Rn. 17; VG Mainz, B. v. 13. 6. 2016, 1 L 187/16.MZ, juris Rn. 13).

Dabei gilt der elastische Gefahrbegriff des Polizei- und Ordnungsrechts, d. h.:

An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und schwerer der möglicherweise eintretende Schaden wiegt (vgl. Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Neue Juristische Wochenschrift <NJW> 1974, 815); Schaden in diesem Sinne ist die Verletzung tierschutzrechtlicher Normen.

Haben sich im Verantwortungsbereich einer Person bereits gleichartige oder ähnliche Verstöße ereignet, so kann mangels gegenteiliger Anhaltspunkte von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.

Abgrenzungen:

  • § 16a ermächtigt nicht zu tierschutzrechtlichen Anordnungen der Gefahrenvorsorge oder zu Gefahrerforschungsmaßnahmen im Vorfeld konkreter tierschutzrechtlicher Gefahren. Besteht also noch keine Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem tierschutzrechtlichen Verstoß kommen wird, sondern nur eine mehr oder minder entfernte Möglichkeit, so ist nach § 16 Abs. 2 und 3 (i. V. m. § 16a Abs. 1 S. 1) vorzugehen, denn die dortigen Befugnisse setzen (abgesehen von Abs. 3 Nr. 2) noch keine Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts voraus (vgl. VGH Mannheim Beschl. v. 9.8.2012, 1 S 1281/12, juris-Rn. 4; mit dem Vorgehen nach § 16 Abs. 2 und 3 sind Auskunftsverlangen, behördliche Nachschauen und Durchsuchungen gemeint, also Maßnahmen die der Aufklärung dienen, ob ein tierschutzwidriger zustand bereits eingetreten ist bzw. eine entsprechende Gefahr droht).

ZU (2) Richtiger Adressat oder Anordnung?

  • Die Behörde erlässt daher normalerweise ihre Anordnung gegenüber demjenigen, der durch sein Handeln (auch: pflichtwidriges Unterlassen) für den tierschutzwidrigen Vorgang oder Zustand ursächlich geworden ist bzw. zu werden droht (Verhaltensstörer; vgl. OVG Bremen Beschl. v. 29. 10. 2018, 1 B 230/18, juris Rn. 6).
  • Bei Verstößen gegen § 2 wendet sie sich an den Halter, Betreuer und/oder Betreuungspflichtigen.
  • In Betracht kommt auch die Inanspruchnahme einer Person als Zustandsstörer, z. B. als Besitzer oder Eigentümer der Räumlichkeiten, in denen der Vorgang stattfindet, oder das gefährdete Tier sich befindet (vgl. VG Arnsberg Beschl. v. 20.11.2007, 14 L 749/07: Verantwortlichkeit eines Hofbetreibers für sämtliche auf dem Hof lebenden Katzen, wenn sich dort hofzugehörige, benachbarte und verwilderte Katzen mangels Kastration der Tiere unkontrolliert vermehrt haben, so dass eine Zuordnung der Tiere zu den verschiedenen Gruppen nicht mehr getroffen werden kann).
  • Es ist sogar möglich, unbeteiligte Personen als sog. Notstandspflichtige ausnahmsweise in Anspruch zu nehmen; dies geschieht dann, wenn bei einer unmittelbar bevorstehenden oder schon eingetretenen, fortdauernden Störung die rechtzeitige Inanspruchnahme des Verhaltens- oder Zustandsstörers nicht möglich ist und die eigenen Mittel der Behörde nicht ausreichen (vgl. zB Art. 9 Abs. 3 LStVG Bayern; § 9 PolG BW; § 9 HSOG).
  • Unter mehreren Verhaltens- und Zustandsstörern besteht Auswahlermessen. Die Behörde soll denjenigen in Anspruch nehmen, der die Gefahr bzw. Störung am schnellsten, wirksamsten und mit dem geringsten Aufwand, also am effektivsten beseitigen kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 21. 7. 2016, W 5 K 14.1123, juris Rn. 56).
  • Lässt sich nach diesen Kriterien keine Auswahl treffen, hält man sich an den Verhaltensstörer.
  • Auch gegen tierschutzwidrige Vorgänge, die im Ausland stattzufinden drohen, kann eingeschritten werden, sofern ein Tun oder garantiepflichtwidriges Unterlassen im Inland für diese Gefahr ursächlich wird (wichtig z. B. für Tiertransporte: Einschreiten gegen den Versender, Spediteur usw., wenn diese durch ihr Verhalten im Inland eine nicht hinwegdenkbare Ursache dafür setzen, dass es nach Überschreitung der Grenze zu tierschutzwidrigen Zuständen kommt; vgl. dazu Kluge in: Kluge Hrsg., Kommentar zum TierSchG 2002, § 16a Rn. 14).

ZU (3) „notwendige“ Anordnung?

Wann ist eine Anordnung „notwendig“ i. S. v- § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG?

  • „notwendig“ sind Anordnungen, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
  • Sie müssen also geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein (vgl. z. B. § 5 PolG BW, § 4 HSOG).
  • „Geeignet“ bedeutet, dass die angeordnete Maßnahme zweckgerecht sein muss.
  • „Erforderlich“ bedeutet, dass von mehreren Maßnahmen, die die Beendigung bzw. Verhütung des Verstoßes mit gleicher Sicherheit erwarten lassen, diejenige zu wählen ist, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten belastet; es darf also kein milderes Mittel in Betracht kommen.
  • „Verhältnismäßig im engeren Sinne“ meint die Relation zwischen Nutzen und Schaden: Unverhältnismäßigkeit liegt vor, wenn der Nachteil, den die Anordnung dem Betroffenen auferlegt, schwerer wiegt als der Verstoß, der damit beendet bzw. verhindert werden soll (Abwägung der betroffenen Rechtsgüter; vgl. VG Würzburg, Urt. v. 3. 3. 2016, W 5 K 15.613, juris Rn. 32); im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sind auch die Grundrechte zu prüfen (z. B. wenn die Maßnahme in Art. 2, 12 oder 14 GG eingreift).
  • Abgesehen davon, dass die Anordnungen notwendig (i. S. der o. e. drei Elemente des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) sein müssen, nimmt das TierSchG grds. keine Begrenzung der zulässigen Maßnahmen vor (vgl. VGH Mannheim, B. v. 9. 8. 2012, 1 S 1282/12, juris Rn. 5; VG Freiburg, B. v. 8. 5. 2017, 6 K 1428/17, juris Rn. 21).

Einschub: im Verwaltungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz, d. h.:

  • Die Behörde klärt den Sachverhalt gem. § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG von Amts auf.
  • Im Rahmen dieser Aufklärungspflicht muss sie die entscheidungserheblichen Tatsachen unabhängig vom Vortrag der Verfahrensbeteiligten ermitteln und alle Möglichkeiten zur Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts ausschöpfen.
  • Dabei ist sie weder an das Vorbringen der Beteiligten noch an deren Beweisanträge gebunden.
  • Nach § 24 Abs. 2 VwVfG hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände, die ihr bekannt sind oder die sie mit zumutbarem Aufwand ermitteln kann, bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.
  • Zur Verwendung von Erkenntnissen und Beweismitteln aus einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, selbst wenn dieses nicht oder noch nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hat, vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 4. 7. 2016, 1 A 1198/14, juris Rn. 51: „Auch sofern das strafrechtliche Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, widerspricht die Verwertung der staatsanwaltlichen Ermittlungen im behördlichen und gerichtlichen Verfahren nicht dem Gebot der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 20 Abs. 3 GG). Denn den Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten ist es nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel zu verwerten und einer eigenständigen Überprüfung im behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren zu unterziehen (BVerfG, B. v. 16. 1. 1991, 1 BvR 1326/90, juris Rn. 21).“

ZU (4) Entschließungsermessen? Auswahlermessen?

Entschließungsermessen; Auswahlermessen

In Rechtsprechung und Literatur setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass § 16a Abs. 1 S. 1 der Behörde zwar in der Regel ein Auswahlermessen einräumt, aber kein Entschließungsermessen, d. h.: die Behörde muss zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße tätig werden und kann nicht über das „Ob“ sondern nur über das „Wie“ ihres Tätigwerdens entscheiden.

Rechtsprechung dazu: VGH München, B. v. 8. 11. 2016, 20 CS 16.1193: bei Vorliegen eines festgestellten Verstoßes bzw. bei absehbaren künftigen Verstößen besteht eine Pflicht zum Tätigwerden, besteht also kein Entschließungsermessen sondern allein ein Auswahlermessen; VG Schleswig Urt. v. 2. 7. 2018, 1 A 58/16, juris Rn. 49: „kein Entschließungsermessen, bei der Feststellung von Verstößen muss die Behörde somit einschreiten“; VG Magdeburg, Urt. v. 4. 7. 2016, 1 A 1198/14, juris Rn. 118: „Bei der Feststellung von tierschutzrechtlichen Verstößen hat die zuständige Behörde in der Regel ohnehin kein sog. Entschließungsermessen. Sie muss zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße tätig werden und kann nicht über das „Ob“, sondern nur über das „Wie“ ihres Tätigwerdens entscheiden“; VG Gelsenkirchen, B. v. 4. 2. 2016, 16 L 221/16, juris Rn.14; VG Berlin B. v. 19.2.2013, 24 L 25.13, juris-Rn. 18: „Hinsichtlich der nach § 16a S. 1 [aF] zu treffenden Anordnungen hat die Behörde kein sog. Entschließungsermessen, sondern ist verpflichtet, gegen bereits vorliegende oder zu erwartende Verstöße gegen das Tierschutzgesetz einzuschreiten“; ebenso VG Saarlouis Urt. v. 24.2.2010, 5 K 531/09, juris-Rn. 59: „Die Regelung begründet … die Verpflichtung zum Einschreiten gegen bereits eingetretene oder zu erwartende Verstöße“; VG Regensburg, B. v. 20.8.2010, RN 4 S 10.970, juris-Rn. 52; Urt. v. 2.12.2003, RN 11 S 03.2415: „§ 16a S. 1 [aF] verpflichtet die Behörde dazu, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen zu treffen. Ein Ermessen besteht dabei nicht. Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig“.

Das Auswahlermessen, das das „Wie“ des Einschreitens, also die Wahl des Handlungsmittels betrifft, wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet und beschränkt.

In der Begründung ihrer Anordnung muss die Behörde u. a. zum Ausdruck bringen, dass sie ihren Ermessensspielraum erkannt und genutzt hat. Deshalb ist darzulegen, welches die Gründe für die Wahl der ergriffenen Maßnahme(n) waren. Es darf nicht erkennbar werden, dass sie dabei von falschen oder unvollständig ermittelten Tatsachen ausgegangen ist oder Erwägungen, die dem Gesetzeszweck widersprechen, angestellt hat. Auch sollte deutlich gemacht werden, dass sie sich mit möglichen anderen, weniger belastenden Handlungsalternativen auseinandergesetzt und diese mit zutreffender Begründung, z. B. wegen nicht ausreichender Effektivität, abgelehnt hat. Sie muss auch das Ausmaß der wirtschaftlichen und sonstigen Belastung, die von ihrer Anordnung für den Adressaten ausgeht, zutreffend eingeschätzt haben, ebenso die Schwere des Verstoßes und die möglichen Nachteile, um deren Abwendung es geht und die bei einem Untätigbleiben oder bei einer Beschränkung auf weniger effektive Handlungsalternativen gedroht hätten.

Vgl. dazu VG Schleswig, B. v. 30. 6. 2017, 1 B 45/17, juris Rn. 22, und B. v. 20. 4. 2017, 1 B 9/17, juris Rn. 23: „Notwendige Anordnungen … sind diejenigen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d. h. sie müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig i. e. S. sein. ‚Geeignet‘ bedeutet, dass die Maßnahme zweckgerecht sein muss. ‚Erforderlich‘ bedeutet, dass von mehreren Maßnahmen, die die Beendigung bzw. Verhütung des Verstoßes mit gleicher Sicherheit erwarten lassen, diejenige zu wählen ist, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten belastet; es darf kein milderes Mittel in Betracht kommen. „Verhältnismäßigkeit i. e. S. meint die Relation zwischen Nutzen und Schaden: Unverhältnismäßigkeit liegt vor, wenn der Nachteil, den die Anordnung dem Betroffenen auferlegt, schwerer wiegt als der Verstoß, der damit beendet bzw. verhindert werden soll (Abwägung der betroffenen Rechtsgüter).“

Eine grds. richtige Ermessensausübung liegt vor, wenn die Behörde dem Tierschutz gegenüber den persönlichen Interessen (z. B. Finanzen) des Halters Vorrang einräumt (vgl. VG Stuttgart in: Recht der Landwirtschaft <RdL> 1998, 110).

ZU (5) Bestimmtheit der Anordnung

Die Anordnung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 37 Abs. 1 VwVfG).

  • Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsaktes (OVG Lüneburg, B. v. 29. 11. 2017, 11 ME 268/17, im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 16. 10. 2013, 8 C 21.12; VG Magdeburg, Urt. v. 4. 7. 2016, 1 A 1198/14, juris Rn. 31: „Die Begründung bestimmt damit den Inhalt der getroffenen Regelung mit, sodass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist“).
  • Der Adressat der Anordnung soll aus dem Anordnungssatz, jedenfalls aber aus der Begründung der Anordnung ersehen können, was er tun soll oder nicht tun darf (vgl. VGH München RdL 1978, 82, 83; VG Regensburg Urt. v. 1.7.2014, RN 4 K 14.85: Es genügt, dass aus dem gesamten Inhalt des VA und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der Begründung, aus den den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses, den dem Erlass vorausgegangenen Anträgen usw. „im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichend Klarheit gewonnen werden kann“; VG Stuttgart NuR 1999, 232, 233: Konkretisierung in der Begründung ausreichend; VG Würzburg, Urt. v. 3. 3. 2016, W 5 K 15.613, juris Rn. 35:“ Zur Auslegung eines Verwaltungsakts sind neben dem Anordnungssatz und der Begründung auch die dem Adressaten bekannten Begleitumstände heranziehen, etwa wenn dem Halter aufgrund vorangegangener Beanstandungen klar sein musste, welche Zustände damit vermieden werden sollten“; ebenso Urt. v. 11. 12. 2017, W 8 K 17.538, juris Rn. 24: „ … einschl. etwaiger Hinweise bei vorangegangenen Kontrollen“).
  • Grundsätzlich reicht es aus, wenn der VA den zu erreichenden bzw. zu vermeidenden Erfolg oder Zustand hinreichend bestimmt bezeichnet und das Mittel dafür dem Adressaten überlässt; dies genügt jedenfalls bei Verboten (vgl. BGHZ 129, 40 = NJW 1995, 1894; BVerwGE 84, 338, 339). Wird aber ein Erfolg verlangt, zu dessen Herbeiführung es sehr unterschiedliche Wege gibt, so kann es erforderlich sein, auch hinreichend bestimmt aufzuzeigen, welche der in Betracht kommenden Maßnahmen erwartet wird (vgl. VGH München RdL 1978, 82, 83). Andererseits muss dem Adressaten aber eine Auswahlmöglichkeit belassen werden, wenn es verschiedene gleichwertige Wege zur Herstellung eines tierschutzkonformen Zustandes gibt (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 4. 7. 2016, 1 A 1198/14, juris Rn. 34: „ … kann es auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten, dass die Behörde dem Betroffenen bei der Auswahl des Mittels Entscheidungsfreiheit lässt“).
  • Als zu unbestimmt angesehen wurde eine Anordnung, die dem Halter lediglich aufgibt, seine Rinder beim Auftreten von Fellveränderungen tierärztlich untersuchen zu lassen, ohne diejenigen Fellveränderungen, die eine Zuziehung des Tierarztes erforderlich machen, näher zu beschreiben (vgl. VG Darmstadt, 15.1.2004, 3 G 2177/03).
  • Eine Anordnung, wonach ein Pferdehalter die Unterstände in den Ausläufen, die Laufställe sowie sämtliche Boxen „ständig trocken halten und ausreichend einstreuen“, die Fütterungs- und Aufenthaltsbereiche der Ausläufe „als morastfreie Fläche gestalten“ sowie für „hygienische Futtervorrichtungen sorgen“ solle, ist als hinreichend bestimmt und vollziehbar angesehen worden, jedenfalls wenn dem Halter aufgrund vorangegangener Beanstandungen klar sein musste, welche Zustände damit vermieden werden sollen; denn zur Auslegung eines Verwaltungsakts sind neben dem Anordnungssatz und der Begründung auch die dem Adressaten bekannten Begleitumstände heranzuziehen (VGH München B. v. 4.9.2007, 25 CS 07.1908, juris-Rn. 5; vgl. auch VG Würzburg Beschl. v. 17.9.2010, W 5 S 10.935, juris-Rn. 31 für vorangegangene mündliche Beanstandungen).
  • Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung:
  • Die Anordnung, die gehaltenen Rinder zweimal jährlich (Frühjahr und Herbst) gegen Parasiten behandeln zu lassen, ist in zeitlicher Hinsicht ausreichend bestimmt; gleiches gilt für die Anordnung, bei den Rindern zweimal jährlich Sammelkotproben zu nehmen und auf Parasiten untersuchen zu lassen (OVG Lüneburg, B. v. 29. 11. 2017, 11 ME 268/17).
  • Die Anordnung, Rinder nicht „in dunklen Ställen bzw. an dunklen Standorten“ zu halten, ist als nicht hinreichend bestimmt eingestuft worden (VG Oldenburg Urt. v. 13.2.2013, 11 A 4220/12, juris-Rn. 22).
  • Die Anordnung, Pferden „ausreichend Auslauf“ zu gewähren, ist ausreichend bestimmt, wenn in der Begründung darauf hingewiesen wird, dass die Auslauffläche für bis zu zwei Pferde mehr als 150 m² betragen muss (VGH München B. v. 23.10.2012, 9 ZB 11.1796, juris-Rn. 4).
  • Die Anordnung, Schafen und Ziegen bei „dauernder Haltung im Freien“ einen Witterungsschutz und trockenen Liegeplatz zur Verfügung zu stellen, ist jedenfalls dann zu unbestimmt, wenn auch bei Heranziehung der Begründung offen bleibt, wann von einer dauernden Haltung im Freien auszugehen ist (vgl. VG Regensburg Urt. v. 1.7.2014, RN 4 K 14.85: Tag und Nacht? ganzjährig? von Mai-November?
  • Die Anordnung, einen bestimmten Zustand, z. B. Entmistung und Säuberung des Stalles „umgehend“ herbeizuführen, ist zwar  für den Grundverwaltungsakt ausreichend bestimmt, reicht aber für eine Zwangsgeldandrohung nicht aus, weil bei Androhung oder Festsetzung eines Zwangsgeldes eine kalendermäßig bestimmte Frist angegeben werden muss (VG Würzburg, Urt. v. 11. 12. 2017, W 8 K 17.538, juris Rn. 35).
  • Gesetzeswiederholende Verfügungen, die eine schon durch das Gesetz normierte Pflicht wiederholen, sind zwar zulässig, müssen aber das Verlangte – d. h. den herbeizuführenden Erfolg oder Zustand – hinreichend bestimmt bezeichnen. Vorteile dieses Vorgehens: Die mittels Verwaltungsakt ausgesprochene Pflicht kann anschließend mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden, und nach Eintritt der Bestandskraft ist dem Adressaten der Einwand, er sei dazu nicht verpflichtet, abgeschnitten.
  • Fall, beschrieben von einer Verwaltungsrichterin, Aktenzeichen nicht bekannt: Anordnung „die Kontrolle Ihrer Pferdehaltung und die Einsicht in die Equidenpässe zu dulden“. Anordnung zwar rechtmäßig, aber nicht durch Festsetzung eines Zwangsgeldes vollstreckbar, weil es dazu hätte heißen müssen: „Ihnen wird aufgegeben, zu allen Pferden die Equidenpässe vorzulegen.

ZU (6)  Anhörung (§ 28 Abs. 1 – 3 VwVfG)

Grundsätzlich ist der Adressat nach § 28 Abs. 1 – 3 VwVfG vorher – und sei es auch nur mündlich oder telefonisch – anzuhören; dabei müssen ihm die entscheidungserheblichen Tatsachen, soweit er sie nicht schon kennt, und die Ergebnisse einer etwaigen Beweisaufnahme mitgeteilt werden, und er muss Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen. Sofern die Anhörung mündlich oder telefonisch erfolgt, ist anzuraten, darüber einen schriftlichen Vermerk anzufertigen, um im Falle eines späteren Klageverfahrens den Nachweis führen zu können.

Bei Gefahr im Verzug oder wenn ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht (z. B. weil es den Zweck der Maßnahme bei vorheriger Anhörung vermutlich vereiteln würde; weitere Ausnahmen sind in § 28 Abs. 2 VwVfG geregelt) kann man aber davon absehen und die Anhörung im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren nachholen.

Die mangelnde Gewährung rechtlichen Gehörs kann gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geheilt werden, wenn die Behörde in der Begründung ihres Bescheids die für sie maßgeblichen Tatsachen und Beweisergebnisse und ihre Ermessenserwägungen mitteilt, so dass der Betroffene Gelegenheit hat, dazu Stellung zu nehmen, und wenn sie die daraufhin erhobenen Einwendungen ernsthaft in Erwägung zieht, z. B. im Nichtabhilfebescheid, im Widerspruchsbescheid, in der Klageerwiderung oder in der Erwiderung auf einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. dazu VG Gießen, B. v. 15. 5. 2017, 4 L 1290/17.GI, juris Rn. 49: „Sollte eine ordnungsgemäße Anhörung des Antragstellers nicht erfolgt sein, so ist der VA zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr fehlerhaft. Der Antragsgegner hat nämlich die im Widerspruch wie im gerichtlichen Antrag angeführten Einwendungen des Antragstellers zu der Anordnung - zumindest im laufenden gerichtlichen Verfahren - zur Kenntnis genommen und darauf geantwortet, so dass eine Heilung des Verfahrensfehlers gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG erfolgt ist“).

ZU (7) Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung oder Vollziehbarkeit kann nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergehen.

  • Die Gefahr, dass ohne ein sofortiges Handeln anhaltende (nicht notwendig: erhebliche) Schmerzen, Leiden oder Schäden fortdauern, begründet in der Regel das notwendige besondere öffentliche Vollzugsinteresse;
  • ebenso die Gefahr, dass ein bereits eingetretener Missstand, z. B. ein Verstoß gegen § 2, sonst bis zum Eintritt der Bestandskraft weiter fortdauert (vgl. VG Stuttgart NuR 1999, 232, 233; 235, 236).
  • Erst recht gilt dies, wenn mit weiteren Verstößen noch vor Eintritt der Bestandskraft gerechnet werden muss (vgl. VG Stuttgart NuR 1999, 718, 720; vgl. auch VG Gießen NuR 2003, 506, 507 unter Hinweis auf „die Inkorporation des Tierschutzes in Art. 20a GG“, die das öffentliche Interesse, Missstände nicht fortdauern bzw. Verstöße nicht eintreten zu lassen, untermauere).
  • Verfügungen, die die gesetzlichen Duldungs- und Mitwirkungspflichten nach § 16 Abs. 3 konkretisieren, können in der Regel für sofort vollziehbar erklärt werden, weil Kontrollen ihren Zweck häufig nur erfüllen, wenn sie den Tierhalter unvorbereitet treffen (vgl. VG Stuttgart NuR 1999, 718, 720).

ZU (8) Begründung

8a. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit

  • Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit muss ausdrücklich ausgesprochen und gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO grds. schriftlich begründet werden.
  • Allgemeine Anforderungen an diese Begründung:
  • Sie darf nicht lediglich formelhaft sein, sondern muss auf den konkreten Einzelfall eingehen (VG Bremen, B. v. 22. 2. 2016, 5 V 2463/15, juris Rn. 12).
  • Sie muss ergeben, dass an der sofortigen Vollziehung ein besonderes öffentliches Interesse besteht, das über dasjenige Interesse hinausgeht, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, und dass dieses Interesse hinter das das Interesse des Betroffenen, zunächst nicht von den Wirkungen des angegriffenen Verwaltungsaktes betroffen zu werden, zurückzutreten hat (vgl. Kopp/Schenke VwGO 22. Aufl. 2016, § 80 Tn. 85).
  • In der Begründung muss auf die Umstände des konkreten Falles eingegangen werden (vgl. VGH München, B. v. 25. 5. 2016, 20 CS 16.517, juris Rn. 15: Begründung muss auf den konkreten Einzelfall abstellen und darf sich nicht mit formelhaften Erwägungen begnügen. Es muss dargelegt werden, dass ein weiterer Aufschub im Falle der Einlegung eines Rechtsbehelfs aufgrund der festgestellten oder unmittelbar drohenden Verstöße nicht vertretbar wäre, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung oder Vermeidung tierschutzwidriger Handlungen oder Zustände vorrangig gegenüber dem gegenläufigen Individualinteresse des Adressaten der Anordnung ist, oder dass aus generalpräventiven Gründen sofort wirkende Maßnahmen nötig sind uÄ)
  • An dieses besondere öffentliche Interesse sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender die dem Bürger durch den Verwaltungsakt auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (VG Gießen, B. v. 23. 4. 2018, 4 L 1056/18.GI, juris Rn. 35 im Anschluss an BVerfG, B. v. 18. 7. 1973, 1 BvR 23/73, BVerfGE 35, 382).
  • Deshalb reicht i. d. R. eine Bezugnahme auf die Begründung des VA nicht aus, vielmehr müssen die o. e. Gefahren, die den Sofortvollzug begründen sollen, angegeben werden. Dabei ist auf die Umstände des Einzelfalles einzugehen (vgl. VGH München, B. v. 8. 11. 2016, 20 CS 16.1193, juris Rn. 20: Begründung nicht ausreichend, wenn sie keinen Bezug zum konkreten Sachverhalt und keine auf den Einzelfall abstellende Aussage enthält).
  • Es gibt aber in der Rechtsprechung auch Fälle, wo die Gründe, die für den Verwaltungsakt angegeben worden sind, auch als ausreichend zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angesehen worden sind:
  • VGH München, B. v. 31. 1. 2017, 9 CS 16.2021, Orientierungssatz 1: „Das besondere Vollzugsinteresse für die Anordnung des Sofortvollzugs einer tierschutzrechtlichen Anordnung ergibt sich jedenfalls in Fällen einer konkreten Gefährdung der Tiere regelmäßig aus der Grundverfügung;
  • Ebenso VG Schleswig, B. v. 8. 6. 2017, 1 B 24/17, juris Rn. 6: Begründung ausreichend, wenn darin die besondere Dringlichkeit der angeordneten Maßnahmen zur Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Schäden während der Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens deutlich zum Ausdruck kommt;
  • VG Schleswig, B. v. 8. 5. 2017, 1 B 53/17, juris Rn. 9: „An der Verhinderung vermeidbarer Leiden der geschützten Tiere besteht ein besonderes öffentliches Interesse, das über das allgemeine öffentliche Interesse an der Durchsetzung tierschutzrechtlicher Verfügungen hinausgeht“;
  • VG Münster, B. v. 12. 4. 2018, 1 L 2222/17, juris Rn. 4: Begründung ausreichend, wenn sie „auf die spezifischen Gefahren für den Tierschutz abstellt, die hier aus einem weiteren Abwarten bis zur Bestandskraft des Bescheides resultieren“;
  • VG Freiburg, B. v. 8. 5. 2017, 6 K 1428/17, juris Rn. 16: Dient der zu vollziehende VA der Abwehr einer konkreten Gefährdung von Tieren, z. B. weil die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene werde weiterhin Zuwiderhandlungen gegen das TierSchG begehen, ist der Verweis auf diese Gefährdung auch ausreichend als Begründung nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO.
  • VG München, B. v. 15. 11. 2016, M 23 S 16.3863, juris Rn. 29: grds. ausreichend, wenn unter Angabe der besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe darauf verwiesen wird, dass zum Schutz der betroffenen Tiere eine artgerechte Haltung möglichst umgehend sicherzustellen sei.
  • Bei Gefahr im Verzug ist nach § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO die Anordnung auch mündlich unter der Bezeichnung als Notstandsmaßnahme möglich (Achtung! § 80 Abs. 3 S. 2 entbindet nur von der Notwendigkeit der schriftlichen Begründung; eine mündliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nebst mündlicher Begründung als Notstandsmaßnahme bleiben erforderlich, vgl. OVG Münster RdL 1980, 49, 50).
  • Nach § 37 Abs. 2 S. 2 VwVfG ist ein mündlich ergangener VA schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt; auch ohne diese Voraussetzungen kann die Behörde eine solche Bestätigung vornehmen. Es ist dann darauf zu achten, die mündlich ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nebst Begründung in diese Bestätigung aufzunehmen.

8b. Begründung des Verwaltungsaktes

Die Begründung, die einem schriftlichen oder schriftlich bestätigten Verwaltungsakt grds. beizufügen ist (Ausnahmen sind geregelt in § 39 Abs. 2 VwVfG), enthält die Tatsachen und die rechtlichen und fachlichen Erwägungen sowie die Ermessenserwägungen, die für das Einschreiten maßgebend sind.

Zur Darstellung der Verhältnismäßigkeit ist es sinnvoll, sich auch mit weniger einschneidenden Maßnahmen auseinander zu setzen und zu begründen, weshalb diese nicht ausgereicht hätten.

Bei besonders einschneidenden Anordnungen wie Fortnahmen, Haltungsuntersagungen u. Ä. kann es hilfreich sein, wenn man auf früher erlassene, weniger einschneidende Maßnahmen hinweisen und deren Erfolglosigkeit darstellen sowie den Zustand der vorgefundenen Tiere mit Fotos bzw. Filmaufnahmen und zeitnah erstellten Protokollvermerken, Untersuchungsberichten und Gutachten belegen kann.

Zur gesonderten Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit s. o. Folie 12.

ZU (9)  Vollstreckung

Die Vollstreckung erfolgt nach dem Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz.

Ist der Verantwortliche abwesend und nicht rechtzeitig erreichbar, so kommt nach dem jeweiligen Landesrecht (vgl. z. B. § 8 PolGBW, § 8 HSOG) auch die unmittelbare Ausführung in Betracht (Beispiele nach Ludwig AtD 2013, 111, 112: unverzügliches Tränken durstiger Tiere; Rettung eines Hundes aus dem heißen Pkw).

Wird für den Fall der Nichtvornahme einer unvertretbaren Handlung ein Zwangsgeld angedroht, so muss zur Erfüllung der Verpflichtung vorher oder gleichzeitig eine kalendermäßige Frist bestimmt werden (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 11. 12. 2017, W 8 K 17.538, juris Rn. 34, 35: Zwangsgeldandrohung für den Fall des Verstoßes gegen die Anordnung, „umgehend“ oder „unverzüglich“ etwas zu tun, rechtswidrig, denn die Frist, für deren fruchtlosen Ablauf das Zwangsgeld angedroht wird, muss kalendermäßig bestimmt sein).

Die Zwangsgeldandrohung ist dann ausreichend bestimmt, wenn erkennbar ist, „für den Verstoß gegen welche Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht wird“ (VGH Mannheim, Urt. v. 17. 8. 1995, 5 S 71.95) bzw. „für welchen Fall der Nichterfüllung einer Anordnung aus dem streitgegenständlichen Bescheid ein Zwangsgeld in welcher Höhe droht“ (VG Augsburg, B. v. 10. 6. 2008, Au 5 S 08.519).

Ist für den Fall, dass eine Anordnung nicht, nicht vollständig, nicht richtig oder nicht fristgerecht befolgt wird, ein Zwangsgeld angedroht und wegen eines Verstoßes später festgesetzt worden, so kann für den Fall eines erneuten Verstoßes auch ein deutlich höheres Zwangsgeld angedroht werden (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 23. 2. 2017, 11 LB 96/16 juris Rn. 44).

Wird hins. einer vertretbaren Handlung die Ersatzvornahme angedroht, so muss auch mit ausreichender Bestimmtheit angegeben werden, unter welchen Voraussetzungen diese stattfinden wird (vgl. VG München, Urt. v. 22. 7. 2015, M 23 K 15.1397, juris Rn. 38: Verstoß gegen § 37 Abs. 1 VwVfG, wenn hins. einer Anordnung, die ausreichende Futter- und Wasserversorgung der Tiere sicherzustellen, Ersatzvornahme für den Fall „dass seitens des Veterinäramts weiterhin Zweifel an der ausreichenden Grundversorgung der Tiere mit Heu bestehen“ angedroht wird).

Übersicht zu den wesentlichen Fragen, die sich stellen, wenn eine Anordnung nach § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG erlassen werden soll:

  • Verstoß gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen, der schon begonnen hat und fortdauert? Gefahr eines künftigen Verstoßes? (1)
     
  • Richtiger Adressat der Anordnung? (2)
     
  • „notwendige“ Anordnung? (3)
     
  • Entschließungsermessen? Auswahlermessen?(4)
     
  • Bestimmtheit der Anordnung (5)
     
  • Anhörung (6)
     
  • Anordnung sofortiger Vollziehbarkeit (7)
     
  • Begründung (8)
     
  • Vollstreckung (9)

ZU (1)  Verstoß gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen, der schon begonnen hat und fortdauert? Gefahr eines künftigen Verstoßes?

Wann ist eine Anordnung „zur Verhütung künftiger Verstöße notwendig“?

Immer wieder zu hörende Formel:

„Besteht die konkrete Gefahr, dass es zu einem tierschutzwidrigen Verhalten oder Vorgang kommen wird, weil eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit zu einem tierschutzrechtlichen Verstoß führen wird, so ist die Behörde zu den notwendigen Anordnungen ermächtigt (vgl. VGH Mannheim, B. v. 9. 8. 2012, 1 S 1281/12, juris Rn. 5; VG Regensburg, GB v. 8. 3. 2017, RN 4 K 16.769, juris Rn. 17; VG Mainz, B. v. 13. 6. 2016, 1 L 187/16.MZ, juris Rn. 13).

Dabei gilt der elastische Gefahrbegriff des Polizei- und Ordnungsrechts, d. h.:

An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und schwerer der möglicherweise eintretende Schaden wiegt (vgl. Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Neue Juristische Wochenschrift <NJW> 1974, 815); Schaden in diesem Sinne ist die Verletzung tierschutzrechtlicher Normen.

Haben sich im Verantwortungsbereich einer Person bereits gleichartige oder ähnliche Verstöße ereignet, so kann mangels gegenteiliger Anhaltspunkte von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.

Abgrenzungen:

  • § 16a ermächtigt nicht zu tierschutzrechtlichen Anordnungen der Gefahrenvorsorge oder zu Gefahrerforschungsmaßnahmen im Vorfeld konkreter tierschutzrechtlicher Gefahren. Besteht also noch keine Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem tierschutzrechtlichen Verstoß kommen wird, sondern nur eine mehr oder minder entfernte Möglichkeit, so ist nach § 16 Abs. 2 und 3 (i. V. m. § 16a Abs. 1 S. 1) vorzugehen, denn die dortigen Befugnisse setzen (abgesehen von Abs. 3 Nr. 2) noch keine Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts voraus (vgl. VGH Mannheim Beschl. v. 9.8.2012, 1 S 1281/12, juris-Rn. 4; mit dem Vorgehen nach § 16 Abs. 2 und 3 sind Auskunftsverlangen, behördliche Nachschauen und Durchsuchungen gemeint, also Maßnahmen die der Aufklärung dienen, ob ein tierschutzwidriger zustand bereits eingetreten ist bzw. eine entsprechende Gefahr droht).

ZU (2) Richtiger Adressat oder Anordnung?

  • Die Behörde erlässt daher normalerweise ihre Anordnung gegenüber demjenigen, der durch sein Handeln (auch: pflichtwidriges Unterlassen) für den tierschutzwidrigen Vorgang oder Zustand ursächlich geworden ist bzw. zu werden droht (Verhaltensstörer; vgl. OVG Bremen Beschl. v. 29. 10. 2018, 1 B 230/18, juris Rn. 6).
  • Bei Verstößen gegen § 2 wendet sie sich an den Halter, Betreuer und/oder Betreuungspflichtigen.
  • In Betracht kommt auch die Inanspruchnahme einer Person als Zustandsstörer, z. B. als Besitzer oder Eigentümer der Räumlichkeiten, in denen der Vorgang stattfindet, oder das gefährdete Tier sich befindet (vgl. VG Arnsberg Beschl. v. 20.11.2007, 14 L 749/07: Verantwortlichkeit eines Hofbetreibers für sämtliche auf dem Hof lebenden Katzen, wenn sich dort hofzugehörige, benachbarte und verwilderte Katzen mangels Kastration der Tiere unkontrolliert vermehrt haben, so dass eine Zuordnung der Tiere zu den verschiedenen Gruppen nicht mehr getroffen werden kann).
  • Es ist sogar möglich, unbeteiligte Personen als sog. Notstandspflichtige ausnahmsweise in Anspruch zu nehmen; dies geschieht dann, wenn bei einer unmittelbar bevorstehenden oder schon eingetretenen, fortdauernden Störung die rechtzeitige Inanspruchnahme des Verhaltens- oder Zustandsstörers nicht möglich ist und die eigenen Mittel der Behörde nicht ausreichen (vgl. zB Art. 9 Abs. 3 LStVG Bayern; § 9 PolG BW; § 9 HSOG).
  • Unter mehreren Verhaltens- und Zustandsstörern besteht Auswahlermessen. Die Behörde soll denjenigen in Anspruch nehmen, der die Gefahr bzw. Störung am schnellsten, wirksamsten und mit dem geringsten Aufwand, also am effektivsten beseitigen kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 21. 7. 2016, W 5 K 14.1123, juris Rn. 56).
  • Lässt sich nach diesen Kriterien keine Auswahl treffen, hält man sich an den Verhaltensstörer.
  • Auch gegen tierschutzwidrige Vorgänge, die im Ausland stattzufinden drohen, kann eingeschritten werden, sofern ein Tun oder garantiepflichtwidriges Unterlassen im Inland für diese Gefahr ursächlich wird (wichtig z. B. für Tiertransporte: Einschreiten gegen den Versender, Spediteur usw., wenn diese durch ihr Verhalten im Inland eine nicht hinwegdenkbare Ursache dafür setzen, dass es nach Überschreitung der Grenze zu tierschutzwidrigen Zuständen kommt; vgl. dazu Kluge in: Kluge Hrsg., Kommentar zum TierSchG 2002, § 16a Rn. 14).

ZU (3) „notwendige“ Anordnung?

Wann ist eine Anordnung „notwendig“ i. S. v- § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG?

  • „notwendig“ sind Anordnungen, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
  • Sie müssen also geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein (vgl. z. B. § 5 PolG BW, § 4 HSOG).
  • „Geeignet“ bedeutet, dass die angeordnete Maßnahme zweckgerecht sein muss.
  • „Erforderlich“ bedeutet, dass von mehreren Maßnahmen, die die Beendigung bzw. Verhütung des Verstoßes mit gleicher Sicherheit erwarten lassen, diejenige zu wählen ist, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten belastet; es darf also kein milderes Mittel in Betracht kommen.
  • „Verhältnismäßig im engeren Sinne“ meint die Relation zwischen Nutzen und Schaden: Unverhältnismäßigkeit liegt vor, wenn der Nachteil, den die Anordnung dem Betroffenen auferlegt, schwerer wiegt als der Verstoß, der damit beendet bzw. verhindert werden soll (Abwägung der betroffenen Rechtsgüter; vgl. VG Würzburg, Urt. v. 3. 3. 2016, W 5 K 15.613, juris Rn. 32); im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sind auch die Grundrechte zu prüfen (z. B. wenn die Maßnahme in Art. 2, 12 oder 14 GG eingreift).
  • Abgesehen davon, dass die Anordnungen notwendig (i. S. der o. e. drei Elemente des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) sein müssen, nimmt das TierSchG grds. keine Begrenzung der zulässigen Maßnahmen vor (vgl. VGH Mannheim, B. v. 9. 8. 2012, 1 S 1282/12, juris Rn. 5; VG Freiburg, B. v. 8. 5. 2017, 6 K 1428/17, juris Rn. 21).

Einschub: im Verwaltungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz, d. h.:

  • Die Behörde klärt den Sachverhalt gem. § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG von Amts auf.
  • Im Rahmen dieser Aufklärungspflicht muss sie die entscheidungserheblichen Tatsachen unabhängig vom Vortrag der Verfahrensbeteiligten ermitteln und alle Möglichkeiten zur Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts ausschöpfen.
  • Dabei ist sie weder an das Vorbringen der Beteiligten noch an deren Beweisanträge gebunden.
  • Nach § 24 Abs. 2 VwVfG hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände, die ihr bekannt sind oder die sie mit zumutbarem Aufwand ermitteln kann, bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.
  • Zur Verwendung von Erkenntnissen und Beweismitteln aus einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, selbst wenn dieses nicht oder noch nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hat, vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 4. 7. 2016, 1 A 1198/14, juris Rn. 51: „Auch sofern das strafrechtliche Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, widerspricht die Verwertung der staatsanwaltlichen Ermittlungen im behördlichen und gerichtlichen Verfahren nicht dem Gebot der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 20 Abs. 3 GG). Denn den Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten ist es nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel zu verwerten und einer eigenständigen Überprüfung im behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren zu unterziehen (BVerfG, B. v. 16. 1. 1991, 1 BvR 1326/90, juris Rn. 21).“

ZU (4) Entschließungsermessen? Auswahlermessen?

Entschließungsermessen; Auswahlermessen

In Rechtsprechung und Literatur setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass § 16a Abs. 1 S. 1 der Behörde zwar in der Regel ein Auswahlermessen einräumt, aber kein Entschließungsermessen, d. h.: die Behörde muss zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße tätig werden und kann nicht über das „Ob“ sondern nur über das „Wie“ ihres Tätigwerdens entscheiden.

Rechtsprechung dazu: VGH München, B. v. 8. 11. 2016, 20 CS 16.1193: bei Vorliegen eines festgestellten Verstoßes bzw. bei absehbaren künftigen Verstößen besteht eine Pflicht zum Tätigwerden, besteht also kein Entschließungsermessen sondern allein ein Auswahlermessen; VG Schleswig Urt. v. 2. 7. 2018, 1 A 58/16, juris Rn. 49: „kein Entschließungsermessen, bei der Feststellung von Verstößen muss die Behörde somit einschreiten“; VG Magdeburg, Urt. v. 4. 7. 2016, 1 A 1198/14, juris Rn. 118: „Bei der Feststellung von tierschutzrechtlichen Verstößen hat die zuständige Behörde in der Regel ohnehin kein sog. Entschließungsermessen. Sie muss zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße tätig werden und kann nicht über das „Ob“, sondern nur über das „Wie“ ihres Tätigwerdens entscheiden“; VG Gelsenkirchen, B. v. 4. 2. 2016, 16 L 221/16, juris Rn.14; VG Berlin B. v. 19.2.2013, 24 L 25.13, juris-Rn. 18: „Hinsichtlich der nach § 16a S. 1 [aF] zu treffenden Anordnungen hat die Behörde kein sog. Entschließungsermessen, sondern ist verpflichtet, gegen bereits vorliegende oder zu erwartende Verstöße gegen das Tierschutzgesetz einzuschreiten“; ebenso VG Saarlouis Urt. v. 24.2.2010, 5 K 531/09, juris-Rn. 59: „Die Regelung begründet … die Verpflichtung zum Einschreiten gegen bereits eingetretene oder zu erwartende Verstöße“; VG Regensburg, B. v. 20.8.2010, RN 4 S 10.970, juris-Rn. 52; Urt. v. 2.12.2003, RN 11 S 03.2415: „§ 16a S. 1 [aF] verpflichtet die Behörde dazu, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen zu treffen. Ein Ermessen besteht dabei nicht. Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig“.

Das Auswahlermessen, das das „Wie“ des Einschreitens, also die Wahl des Handlungsmittels betrifft, wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet und beschränkt.

In der Begründung ihrer Anordnung muss die Behörde u. a. zum Ausdruck bringen, dass sie ihren Ermessensspielraum erkannt und genutzt hat. Deshalb ist darzulegen, welches die Gründe für die Wahl der ergriffenen Maßnahme(n) waren. Es darf nicht erkennbar werden, dass sie dabei von falschen oder unvollständig ermittelten Tatsachen ausgegangen ist oder Erwägungen, die dem Gesetzeszweck widersprechen, angestellt hat. Auch sollte deutlich gemacht werden, dass sie sich mit möglichen anderen, weniger belastenden Handlungsalternativen auseinandergesetzt und diese mit zutreffender Begründung, z. B. wegen nicht ausreichender Effektivität, abgelehnt hat. Sie muss auch das Ausmaß der wirtschaftlichen und sonstigen Belastung, die von ihrer Anordnung für den Adressaten ausgeht, zutreffend eingeschätzt haben, ebenso die Schwere des Verstoßes und die möglichen Nachteile, um deren Abwendung es geht und die bei einem Untätigbleiben oder bei einer Beschränkung auf weniger effektive Handlungsalternativen gedroht hätten.

Vgl. dazu VG Schleswig, B. v. 30. 6. 2017, 1 B 45/17, juris Rn. 22, und B. v. 20. 4. 2017, 1 B 9/17, juris Rn. 23: „Notwendige Anordnungen … sind diejenigen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d. h. sie müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig i. e. S. sein. ‚Geeignet‘ bedeutet, dass die Maßnahme zweckgerecht sein muss. ‚Erforderlich‘ bedeutet, dass von mehreren Maßnahmen, die die Beendigung bzw. Verhütung des Verstoßes mit gleicher Sicherheit erwarten lassen, diejenige zu wählen ist, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten belastet; es darf kein milderes Mittel in Betracht kommen. „Verhältnismäßigkeit i. e. S. meint die Relation zwischen Nutzen und Schaden: Unverhältnismäßigkeit liegt vor, wenn der Nachteil, den die Anordnung dem Betroffenen auferlegt, schwerer wiegt als der Verstoß, der damit beendet bzw. verhindert werden soll (Abwägung der betroffenen Rechtsgüter).“

Eine grds. richtige Ermessensausübung liegt vor, wenn die Behörde dem Tierschutz gegenüber den persönlichen Interessen (z. B. Finanzen) des Halters Vorrang einräumt (vgl. VG Stuttgart in: Recht der Landwirtschaft <RdL> 1998, 110).

ZU (5) Bestimmtheit der Anordnung

Die Anordnung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 37 Abs. 1 VwVfG).

  • Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsaktes (OVG Lüneburg, B. v. 29. 11. 2017, 11 ME 268/17, im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 16. 10. 2013, 8 C 21.12; VG Magdeburg, Urt. v. 4. 7. 2016, 1 A 1198/14, juris Rn. 31: „Die Begründung bestimmt damit den Inhalt der getroffenen Regelung mit, sodass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist“).
  • Der Adressat der Anordnung soll aus dem Anordnungssatz, jedenfalls aber aus der Begründung der Anordnung ersehen können, was er tun soll oder nicht tun darf (vgl. VGH München RdL 1978, 82, 83; VG Regensburg Urt. v. 1.7.2014, RN 4 K 14.85: Es genügt, dass aus dem gesamten Inhalt des VA und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der Begründung, aus den den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses, den dem Erlass vorausgegangenen Anträgen usw. „im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichend Klarheit gewonnen werden kann“; VG Stuttgart NuR 1999, 232, 233: Konkretisierung in der Begründung ausreichend; VG Würzburg, Urt. v. 3. 3. 2016, W 5 K 15.613, juris Rn. 35:“ Zur Auslegung eines Verwaltungsakts sind neben dem Anordnungssatz und der Begründung auch die dem Adressaten bekannten Begleitumstände heranziehen, etwa wenn dem Halter aufgrund vorangegangener Beanstandungen klar sein musste, welche Zustände damit vermieden werden sollten“; ebenso Urt. v. 11. 12. 2017, W 8 K 17.538, juris Rn. 24: „ … einschl. etwaiger Hinweise bei vorangegangenen Kontrollen“).
  • Grundsätzlich reicht es aus, wenn der VA den zu erreichenden bzw. zu vermeidenden Erfolg oder Zustand hinreichend bestimmt bezeichnet und das Mittel dafür dem Adressaten überlässt; dies genügt jedenfalls bei Verboten (vgl. BGHZ 129, 40 = NJW 1995, 1894; BVerwGE 84, 338, 339). Wird aber ein Erfolg verlangt, zu dessen Herbeiführung es sehr unterschiedliche Wege gibt, so kann es erforderlich sein, auch hinreichend bestimmt aufzuzeigen, welche der in Betracht kommenden Maßnahmen erwartet wird (vgl. VGH München RdL 1978, 82, 83). Andererseits muss dem Adressaten aber eine Auswahlmöglichkeit belassen werden, wenn es verschiedene gleichwertige Wege zur Herstellung eines tierschutzkonformen Zustandes gibt (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 4. 7. 2016, 1 A 1198/14, juris Rn. 34: „ … kann es auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten, dass die Behörde dem Betroffenen bei der Auswahl des Mittels Entscheidungsfreiheit lässt“).
  • Als zu unbestimmt angesehen wurde eine Anordnung, die dem Halter lediglich aufgibt, seine Rinder beim Auftreten von Fellveränderungen tierärztlich untersuchen zu lassen, ohne diejenigen Fellveränderungen, die eine Zuziehung des Tierarztes erforderlich machen, näher zu beschreiben (vgl. VG Darmstadt, 15.1.2004, 3 G 2177/03).
  • Eine Anordnung, wonach ein Pferdehalter die Unterstände in den Ausläufen, die Laufställe sowie sämtliche Boxen „ständig trocken halten und ausreichend einstreuen“, die Fütterungs- und Aufenthaltsbereiche der Ausläufe „als morastfreie Fläche gestalten“ sowie für „hygienische Futtervorrichtungen sorgen“ solle, ist als hinreichend bestimmt und vollziehbar angesehen worden, jedenfalls wenn dem Halter aufgrund vorangegangener Beanstandungen klar sein musste, welche Zustände damit vermieden werden sollen; denn zur Auslegung eines Verwaltungsakts sind neben dem Anordnungssatz und der Begründung auch die dem Adressaten bekannten Begleitumstände heranzuziehen (VGH München B. v. 4.9.2007, 25 CS 07.1908, juris-Rn. 5; vgl. auch VG Würzburg Beschl. v. 17.9.2010, W 5 S 10.935, juris-Rn. 31 für vorangegangene mündliche Beanstandungen).
  • Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung:
  • Die Anordnung, die gehaltenen Rinder zweimal jährlich (Frühjahr und Herbst) gegen Parasiten behandeln zu lassen, ist in zeitlicher Hinsicht ausreichend bestimmt; gleiches gilt für die Anordnung, bei den Rindern zweimal jährlich Sammelkotproben zu nehmen und auf Parasiten untersuchen zu lassen (OVG Lüneburg, B. v. 29. 11. 2017, 11 ME 268/17).
  • Die Anordnung, Rinder nicht „in dunklen Ställen bzw. an dunklen Standorten“ zu halten, ist als nicht hinreichend bestimmt eingestuft worden (VG Oldenburg Urt. v. 13.2.2013, 11 A 4220/12, juris-Rn. 22).
  • Die Anordnung, Pferden „ausreichend Auslauf“ zu gewähren, ist ausreichend bestimmt, wenn in der Begründung darauf hingewiesen wird, dass die Auslauffläche für bis zu zwei Pferde mehr als 150 m² betragen muss (VGH München B. v. 23.10.2012, 9 ZB 11.1796, juris-Rn. 4).
  • Die Anordnung, Schafen und Ziegen bei „dauernder Haltung im Freien“ einen Witterungsschutz und trockenen Liegeplatz zur Verfügung zu stellen, ist jedenfalls dann zu unbestimmt, wenn auch bei Heranziehung der Begründung offen bleibt, wann von einer dauernden Haltung im Freien auszugehen ist (vgl. VG Regensburg Urt. v. 1.7.2014, RN 4 K 14.85: Tag und Nacht? ganzjährig? von Mai-November?
  • Die Anordnung, einen bestimmten Zustand, z. B. Entmistung und Säuberung des Stalles „umgehend“ herbeizuführen, ist zwar  für den Grundverwaltungsakt ausreichend bestimmt, reicht aber für eine Zwangsgeldandrohung nicht aus, weil bei Androhung oder Festsetzung eines Zwangsgeldes eine kalendermäßig bestimmte Frist angegeben werden muss (VG Würzburg, Urt. v. 11. 12. 2017, W 8 K 17.538, juris Rn. 35).
  • Gesetzeswiederholende Verfügungen, die eine schon durch das Gesetz normierte Pflicht wiederholen, sind zwar zulässig, müssen aber das Verlangte – d. h. den herbeizuführenden Erfolg oder Zustand – hinreichend bestimmt bezeichnen. Vorteile dieses Vorgehens: Die mittels Verwaltungsakt ausgesprochene Pflicht kann anschließend mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden, und nach Eintritt der Bestandskraft ist dem Adressaten der Einwand, er sei dazu nicht verpflichtet, abgeschnitten.
  • Fall, beschrieben von einer Verwaltungsrichterin, Aktenzeichen nicht bekannt: Anordnung „die Kontrolle Ihrer Pferdehaltung und die Einsicht in die Equidenpässe zu dulden“. Anordnung zwar rechtmäßig, aber nicht durch Festsetzung eines Zwangsgeldes vollstreckbar, weil es dazu hätte heißen müssen: „Ihnen wird aufgegeben, zu allen Pferden die Equidenpässe vorzulegen.

ZU (6)  Anhörung (§ 28 Abs. 1 – 3 VwVfG)

Grundsätzlich ist der Adressat nach § 28 Abs. 1 – 3 VwVfG vorher – und sei es auch nur mündlich oder telefonisch – anzuhören; dabei müssen ihm die entscheidungserheblichen Tatsachen, soweit er sie nicht schon kennt, und die Ergebnisse einer etwaigen Beweisaufnahme mitgeteilt werden, und er muss Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen. Sofern die Anhörung mündlich oder telefonisch erfolgt, ist anzuraten, darüber einen schriftlichen Vermerk anzufertigen, um im Falle eines späteren Klageverfahrens den Nachweis führen zu können.

Bei Gefahr im Verzug oder wenn ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht (z. B. weil es den Zweck der Maßnahme bei vorheriger Anhörung vermutlich vereiteln würde; weitere Ausnahmen sind in § 28 Abs. 2 VwVfG geregelt) kann man aber davon absehen und die Anhörung im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren nachholen.

Die mangelnde Gewährung rechtlichen Gehörs kann gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geheilt werden, wenn die Behörde in der Begründung ihres Bescheids die für sie maßgeblichen Tatsachen und Beweisergebnisse und ihre Ermessenserwägungen mitteilt, so dass der Betroffene Gelegenheit hat, dazu Stellung zu nehmen, und wenn sie die daraufhin erhobenen Einwendungen ernsthaft in Erwägung zieht, z. B. im Nichtabhilfebescheid, im Widerspruchsbescheid, in der Klageerwiderung oder in der Erwiderung auf einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. dazu VG Gießen, B. v. 15. 5. 2017, 4 L 1290/17.GI, juris Rn. 49: „Sollte eine ordnungsgemäße Anhörung des Antragstellers nicht erfolgt sein, so ist der VA zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr fehlerhaft. Der Antragsgegner hat nämlich die im Widerspruch wie im gerichtlichen Antrag angeführten Einwendungen des Antragstellers zu der Anordnung - zumindest im laufenden gerichtlichen Verfahren - zur Kenntnis genommen und darauf geantwortet, so dass eine Heilung des Verfahrensfehlers gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG erfolgt ist“).

ZU (7) Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung oder Vollziehbarkeit kann nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergehen.

  • Die Gefahr, dass ohne ein sofortiges Handeln anhaltende (nicht notwendig: erhebliche) Schmerzen, Leiden oder Schäden fortdauern, begründet in der Regel das notwendige besondere öffentliche Vollzugsinteresse;
  • ebenso die Gefahr, dass ein bereits eingetretener Missstand, z. B. ein Verstoß gegen § 2, sonst bis zum Eintritt der Bestandskraft weiter fortdauert (vgl. VG Stuttgart NuR 1999, 232, 233; 235, 236).
  • Erst recht gilt dies, wenn mit weiteren Verstößen noch vor Eintritt der Bestandskraft gerechnet werden muss (vgl. VG Stuttgart NuR 1999, 718, 720; vgl. auch VG Gießen NuR 2003, 506, 507 unter Hinweis auf „die Inkorporation des Tierschutzes in Art. 20a GG“, die das öffentliche Interesse, Missstände nicht fortdauern bzw. Verstöße nicht eintreten zu lassen, untermauere).
  • Verfügungen, die die gesetzlichen Duldungs- und Mitwirkungspflichten nach § 16 Abs. 3 konkretisieren, können in der Regel für sofort vollziehbar erklärt werden, weil Kontrollen ihren Zweck häufig nur erfüllen, wenn sie den Tierhalter unvorbereitet treffen (vgl. VG Stuttgart NuR 1999, 718, 720).

ZU (8) Begründung

8a. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit

  • Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit muss ausdrücklich ausgesprochen und gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO grds. schriftlich begründet werden.
  • Allgemeine Anforderungen an diese Begründung:
  • Sie darf nicht lediglich formelhaft sein, sondern muss auf den konkreten Einzelfall eingehen (VG Bremen, B. v. 22. 2. 2016, 5 V 2463/15, juris Rn. 12).
  • Sie muss ergeben, dass an der sofortigen Vollziehung ein besonderes öffentliches Interesse besteht, das über dasjenige Interesse hinausgeht, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, und dass dieses Interesse hinter das das Interesse des Betroffenen, zunächst nicht von den Wirkungen des angegriffenen Verwaltungsaktes betroffen zu werden, zurückzutreten hat (vgl. Kopp/Schenke VwGO 22. Aufl. 2016, § 80 Tn. 85).
  • In der Begründung muss auf die Umstände des konkreten Falles eingegangen werden (vgl. VGH München, B. v. 25. 5. 2016, 20 CS 16.517, juris Rn. 15: Begründung muss auf den konkreten Einzelfall abstellen und darf sich nicht mit formelhaften Erwägungen begnügen. Es muss dargelegt werden, dass ein weiterer Aufschub im Falle der Einlegung eines Rechtsbehelfs aufgrund der festgestellten oder unmittelbar drohenden Verstöße nicht vertretbar wäre, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung oder Vermeidung tierschutzwidriger Handlungen oder Zustände vorrangig gegenüber dem gegenläufigen Individualinteresse des Adressaten der Anordnung ist, oder dass aus generalpräventiven Gründen sofort wirkende Maßnahmen nötig sind uÄ)
  • An dieses besondere öffentliche Interesse sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender die dem Bürger durch den Verwaltungsakt auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (VG Gießen, B. v. 23. 4. 2018, 4 L 1056/18.GI, juris Rn. 35 im Anschluss an BVerfG, B. v. 18. 7. 1973, 1 BvR 23/73, BVerfGE 35, 382).
  • Deshalb reicht i. d. R. eine Bezugnahme auf die Begründung des VA nicht aus, vielmehr müssen die o. e. Gefahren, die den Sofortvollzug begründen sollen, angegeben werden. Dabei ist auf die Umstände des Einzelfalles einzugehen (vgl. VGH München, B. v. 8. 11. 2016, 20 CS 16.1193, juris Rn. 20: Begründung nicht ausreichend, wenn sie keinen Bezug zum konkreten Sachverhalt und keine auf den Einzelfall abstellende Aussage enthält).
  • Es gibt aber in der Rechtsprechung auch Fälle, wo die Gründe, die für den Verwaltungsakt angegeben worden sind, auch als ausreichend zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angesehen worden sind:
  • VGH München, B. v. 31. 1. 2017, 9 CS 16.2021, Orientierungssatz 1: „Das besondere Vollzugsinteresse für die Anordnung des Sofortvollzugs einer tierschutzrechtlichen Anordnung ergibt sich jedenfalls in Fällen einer konkreten Gefährdung der Tiere regelmäßig aus der Grundverfügung;
  • Ebenso VG Schleswig, B. v. 8. 6. 2017, 1 B 24/17, juris Rn. 6: Begründung ausreichend, wenn darin die besondere Dringlichkeit der angeordneten Maßnahmen zur Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Schäden während der Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens deutlich zum Ausdruck kommt;
  • VG Schleswig, B. v. 8. 5. 2017, 1 B 53/17, juris Rn. 9: „An der Verhinderung vermeidbarer Leiden der geschützten Tiere besteht ein besonderes öffentliches Interesse, das über das allgemeine öffentliche Interesse an der Durchsetzung tierschutzrechtlicher Verfügungen hinausgeht“;
  • VG Münster, B. v. 12. 4. 2018, 1 L 2222/17, juris Rn. 4: Begründung ausreichend, wenn sie „auf die spezifischen Gefahren für den Tierschutz abstellt, die hier aus einem weiteren Abwarten bis zur Bestandskraft des Bescheides resultieren“;
  • VG Freiburg, B. v. 8. 5. 2017, 6 K 1428/17, juris Rn. 16: Dient der zu vollziehende VA der Abwehr einer konkreten Gefährdung von Tieren, z. B. weil die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene werde weiterhin Zuwiderhandlungen gegen das TierSchG begehen, ist der Verweis auf diese Gefährdung auch ausreichend als Begründung nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO.
  • VG München, B. v. 15. 11. 2016, M 23 S 16.3863, juris Rn. 29: grds. ausreichend, wenn unter Angabe der besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe darauf verwiesen wird, dass zum Schutz der betroffenen Tiere eine artgerechte Haltung möglichst umgehend sicherzustellen sei.
  • Bei Gefahr im Verzug ist nach § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO die Anordnung auch mündlich unter der Bezeichnung als Notstandsmaßnahme möglich (Achtung! § 80 Abs. 3 S. 2 entbindet nur von der Notwendigkeit der schriftlichen Begründung; eine mündliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nebst mündlicher Begründung als Notstandsmaßnahme bleiben erforderlich, vgl. OVG Münster RdL 1980, 49, 50).
  • Nach § 37 Abs. 2 S. 2 VwVfG ist ein mündlich ergangener VA schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt; auch ohne diese Voraussetzungen kann die Behörde eine solche Bestätigung vornehmen. Es ist dann darauf zu achten, die mündlich ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nebst Begründung in diese Bestätigung aufzunehmen.

8b. Begründung des Verwaltungsaktes

Die Begründung, die einem schriftlichen oder schriftlich bestätigten Verwaltungsakt grds. beizufügen ist (Ausnahmen sind geregelt in § 39 Abs. 2 VwVfG), enthält die Tatsachen und die rechtlichen und fachlichen Erwägungen sowie die Ermessenserwägungen, die für das Einschreiten maßgebend sind.

Zur Darstellung der Verhältnismäßigkeit ist es sinnvoll, sich auch mit weniger einschneidenden Maßnahmen auseinander zu setzen und zu begründen, weshalb diese nicht ausgereicht hätten.

Bei besonders einschneidenden Anordnungen wie Fortnahmen, Haltungsuntersagungen u. Ä. kann es hilfreich sein, wenn man auf früher erlassene, weniger einschneidende Maßnahmen hinweisen und deren Erfolglosigkeit darstellen sowie den Zustand der vorgefundenen Tiere mit Fotos bzw. Filmaufnahmen und zeitnah erstellten Protokollvermerken, Untersuchungsberichten und Gutachten belegen kann.

Zur gesonderten Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit s. o. Folie 12.

ZU (9) Vollstreckung

Die Vollstreckung erfolgt nach dem Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz.

Ist der Verantwortliche abwesend und nicht rechtzeitig erreichbar, so kommt nach dem jeweiligen Landesrecht (vgl. z. B. § 8 PolGBW, § 8 HSOG) auch die unmittelbare Ausführung in Betracht (Beispiele nach Ludwig AtD 2013, 111, 112: unverzügliches Tränken durstiger Tiere; Rettung eines Hundes aus dem heißen Pkw).

Wird für den Fall der Nichtvornahme einer unvertretbaren Handlung ein Zwangsgeld angedroht, so muss zur Erfüllung der Verpflichtung vorher oder gleichzeitig eine kalendermäßige Frist bestimmt werden (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 11. 12. 2017, W 8 K 17.538, juris Rn. 34, 35: Zwangsgeldandrohung für den Fall des Verstoßes gegen die Anordnung, „umgehend“ oder „unverzüglich“ etwas zu tun, rechtswidrig, denn die Frist, für deren fruchtlosen Ablauf das Zwangsgeld angedroht wird, muss kalendermäßig bestimmt sein).

Die Zwangsgeldandrohung ist dann ausreichend bestimmt, wenn erkennbar ist, „für den Verstoß gegen welche Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht wird“ (VGH Mannheim, Urt. v. 17. 8. 1995, 5 S 71.95) bzw. „für welchen Fall der Nichterfüllung einer Anordnung aus dem streitgegenständlichen Bescheid ein Zwangsgeld in welcher Höhe droht“ (VG Augsburg, B. v. 10. 6. 2008, Au 5 S 08.519).

Ist für den Fall, dass eine Anordnung nicht, nicht vollständig, nicht richtig oder nicht fristgerecht befolgt wird, ein Zwangsgeld angedroht und wegen eines Verstoßes später festgesetzt worden, so kann für den Fall eines erneuten Verstoßes auch ein deutlich höheres Zwangsgeld angedroht werden (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 23. 2. 2017, 11 LB 96/16 juris Rn. 44).

Wird hins. einer vertretbaren Handlung die Ersatzvornahme angedroht, so muss auch mit ausreichender Bestimmtheit angegeben werden, unter welchen Voraussetzungen diese stattfinden wird (vgl. VG München, Urt. v. 22. 7. 2015, M 23 K 15.1397, juris Rn. 38: Verstoß gegen § 37 Abs. 1 VwVfG, wenn hins. einer Anordnung, die ausreichende Futter- und Wasserversorgung der Tiere sicherzustellen, Ersatzvornahme für den Fall „dass seitens des Veterinäramts weiterhin Zweifel an der ausreichenden Grundversorgung der Tiere mit Heu bestehen“ angedroht wird).