Zum Tag des Versuchstieres am 24.04.2024 fordert die hessische Landestierschutzbeauftragte (LBT), Dr. Madeleine Martin, die Landesregierung auf, gemäß ihres Koalitionsvertrages, das RRR-Prinzip (Refinement, Reduction, Replacement) zum Ausstieg aus der Methodik der Tierversuche nachdrücklich und konsequent umzusetzen.
Nach Auffassung der LBT gehört im Bereich Refinement (Verfeinerung) insbesondere dazu, geltendes Rechtes bei der Unterbringung, der Pflege und des Trainings der Tiere, die für Versuche gedacht sind oder sich in Tierversuchen befinden, konsequent umzusetzen. „Refinement bedeutet bei jedem tierischen Individuum jede gebotene Möglichkeit anzuwenden, um Leid und Schmerz zu reduzieren. Dazu gehört natürlich insbesondere eine der Spezies angemessene tierärztliche Betreuung und Unterbringung. Dabei sind sich sogar die größten Befürworter von Tierversuchen mit tierversuchskritischeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig, dass eine Abweichung von diesen Standards die Ergebnisse der Tierversuche gefährden (Haltung von Versuchstieren - Tierversuche verstehen (tierversuche-verstehen.de). Wer also seriöse Forschung haben will, muss tierschutzrechtliche Vorgaben stringent anwenden“.
Um den weiteren 2 R (Reduction, Replacement) besser gerecht zu werden, sei, so Martin, insbesondere der politische Einsatz für die Anerkennung von Ersatzmethoden in deutschen, europäischen und weltweiten gesetzlichen Vorschriften zur Entwicklung von Medikamenten notwendig: „Es kann nicht sein“, wie Martin heute in Wiesbaden ausführt, „dass anerkannte, validierte Ersatzmethoden zu einem Tierversuch erst nach vielen Jahren in solche Regularien Eingang finden - und dann zuweilen nicht einmal die entsprechenden Tierversuche ganz ersetzen, sondern nur zusätzlich durchgeführt werden können. Hier braucht es klaren politischen Willen, um zeitgemäße, sichere Prüfmethoden wie z. B. Organs on Chips oder andere humanbasierte Forschungsmodelle endlich gesetzlich anzuerkennen! Nur auf diesem Weg kann man nachhaltig Tierversuche verringern und letztlich ersetzen.“ Martin erwartet von der Landesregierung aber auch finanzielle Anstrengungen. „Es wird Zeit, den Blick zu wenden und sich auch einmal ernsthaft zu fragen, wieviel gute Heilungsmöglichkeiten uns entgehen, weil wir nach wie vor Tierversuche als „Goldstandard“ sehen und die Forschung nach Alternativen viel zu wenig finanziell fördern.“
Ein Blick in andere Länder wie die USA zeigt: Schon 2004 wurde von der FDA, der amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel, ein Systemwechsel gefordert. So startete bereits 2012 ein Human-On-A-Chip-Projekt mit einer staatlichen Förderung von 145 Millionen Dollar (Stem Cell Research & Therapy: Sutherland et al., 2013).
Hintergrund:
2010 wurde die Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere erlassen. Sie betont drei Grundsätze, die zur Sicherung des Tierschutzes in der Forschung eingehalten werden sollen und als sogenanntes „3 R-Prinzip“ bezeichnet werden: die Reduzierung (Reduction) und Verfeinerung (Refinement) von tierexperimentellen Methoden sowie die Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden (Replacement) zum Tierversuch.
Neben vielen anderen alternativen Methoden zum Tierversuch sind insbesondere die sogenannten „organs on chips“ von wachsender Bedeutung.
Ein solches Mini-Organ besteht aus einer dreidimensionalen Anordnung von menschlichen Zellen, die die kleinste Funktionseinheit des Organs nachbilden sollen. Die Zellen stammen aus Gewebe, das zum Teil als Abfallprodukt von Operationen gewonnen oder gespendet wird. Die Ergebnisse von Versuchen mit Organchips sind nach Auffassung vieler Forschenden aussagekräftiger und mit höherer Vorhersagekraft für Menschen als Tierexperimente, weil sie mit menschlichen Zellen gewonnen werden - z. B. Hartung T. Predicting toxicity of chemicals: software beats animal testing. EFSA Journal. 2019; 17(S1): e170710.Noorden RV. Software beats animal tests at predicting toxicity of chemicals. Nature. 2018; 559:163.Passini E et al. Human in silico drug trials demonstrate higher accuracy than animal models in predicting clinical pro-arrhythmic cardiotoxicity. Front Physiol. 2017; 8:668). Auf so einem Chip können verschiedene Miniorgane durch einen künstlichen Kreislauf verbunden werden. Durch die simulierten Blutgefäße fließt eine blutähnliche Nährstofflösung. Eine kleine Pumpe stellt das Herz dar. Um die Wirkung einer Substanz mit den Miniorganen auf dem Chip zu testen, wird der Wirkstoff in die Lösung gespritzt. Dann wird die Reaktion der Miniorgane beobachtet.
Die Methode kann helfen, frühzeitig eine Entscheidung darüber zu treffen, welche Wirkstoffe zu Medikamenten weiterentwickelt werden sollten und welche nicht.