Urteil: Details

Öffentliches Recht

Tierschutz - Sonstiges

Hund

Thüringer OVG

20.02.2025

3 EO 540/24

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin legte Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar ein, mit dem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 15. Mai 2024 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2024 wiederhergestellt wurde. Die Antragstellerin ist seit Oktober 2023 Eigentümerin einer Mischlingshündin aus Olde English Bulldogge und Französischer Bulldogge. Nach einer Kontrolle durch das Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt am 6. November 2023 wurde sie aufgefordert, die Hündin tierärztlich, insbesondere zur Abklärung eines Brachycephalensyndroms, untersuchen zu lassen. Die tierärztliche Untersuchung am 10. November 2023 und eine weitere Untersuchung am 11. Dezember 2023 durch die Amtstierärztin führten zu der Empfehlung, die Hündin in der spezialisierten Kleintierklinik der Universität Leipzig vorzustellen. Anfang Januar 2024 erklärte die Antragstellerin, keine Operation durchführen zu lassen; die Behörde betonte, es gehe zunächst nur um die Untersuchung. Mit Bescheid vom 29. April 2024 ordnete das Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG an, die Hündin in der Kleintierklinik Leipzig vorzustellen, die empfohlenen Untersuchungen und Behandlungen durchführen zu lassen und die Hündin kastrieren zu lassen, wobei bei Nichtbefolgung die Ersatzvornahme unter Hinzuziehung der Polizei angedroht wurde. Die Antragsgegnerin begründete die Anordnung damit, dass die Hündin an einem Brachycephalensyndrom leide, das nur in einer spezialisierten Klinik zuverlässig diagnostiziert und behandelt werden könne, und dass dies zur Linderung von Schmerzen und Leiden erforderlich sei. Die Antragstellerin legte Widerspruch ein, beim Verwaltungsgericht Weimar beantragte sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Das Verwaltungsgericht stellte diese wieder her und begründete, der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig, da die Verpflichtung zur alleinigen Vorstellung in der Kleintierklinik Leipzig unverhältnismäßig sei; die bisherigen tierärztlichen Untersuchungen könnten durch Ergänzung oder Konkretisierung ausreichend sein, und die Auswahl der Klinik obliege der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin trägt in ihrer Beschwerde vor, nur ein Fachtierarzt der Kleintierklinik Leipzig könne das Ausmaß des Brachycephalensyndroms zuverlässig feststellen, und die Maßnahme sei durch § 16a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 TierSchG gedeckt, um Schäden von der Hündin abzuwenden. Die Antragstellerin hält die Verpflichtung zur Vorstellung in dieser speziellen Klinik für nicht nachvollziehbar und nicht gesetzlich gedeckt, da auch niedergelassene Tierärzte die Erkrankung ausreichend beurteilen könnten.

Beurteilung

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar bleibt weitgehend erfolglos. Sie ist bezüglich der Nrn. 2, 3 und 5 des Bescheides vom 29. April 2024 unzulässig, da die Beschwerdebegründung die Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht erfüllt, insbesondere die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert in Frage stellt und die erforderliche Darlegung, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die Entscheidung abzuändern sei, vermissen lässt. Hinsichtlich der Nr. 1 des Bescheides ist die Beschwerde zwar zulässig, jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Anordnung, die Hündin ausschließlich in der Kleintierklinik Leipzig zur Untersuchung vorzustellen, zu Recht wiederhergestellt. Bei der summarischen Prüfung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Abwägung zwischen dem privaten Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorzunehmen; hierbei darf das Gericht im Eilverfahren nicht die Hauptsache umfassend prüfen, sondern muss die Interessen abwägen. Die Anordnung der Antragsgegnerin, die Hündin nur in der Kleintierklinik Leipzig untersuchen zu lassen, überschreitet die Grenzen des Ermessens nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. § 2 TierSchG, da nicht hinreichend dargelegt ist, dass diese Klinik die alleinige Möglichkeit zur Diagnose habe und andere Tierärzte nicht geeignet seien. Bereits die Anordnung einer Untersuchung in einer HNO-Abteilung einer Kleintierklinik ist nicht erforderlich, da der Amtstierarzt nach § 15 Abs. 2, § 16 Abs. 1 TierSchG befugt ist, die notwendigen Feststellungen zu treffen, und die Delegation der Beurteilung auf einen bestimmten Tierarzt oder eine Klinik nicht mit dem TierSchG vereinbar ist. Ferner ist fraglich, ob bereits eine konkrete Gefahr eines tierschutzwidrigen Verstoßes gemäß § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG vorliegt, da die Leiden der Hündin durch die angeborene Deformation allein nicht automatisch einen Verstoß begründen, sondern höchstens eine Pflicht zu angemessenen Untersuchungen und Behandlungen besteht. Im Hauptsacheverfahren wird zu klären sein, ob die Maßnahme tatsächlich der Gefahrenabwehr dient oder lediglich eine Gefahrerforschungsmaßnahme darstellt, für die die Behörde nach § 16 Abs. 2 TierSchG auf Auskünfte und unterstützende Untersuchungen der Antragstellerin beschränkt wäre.

Entscheidung

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 20.11.2024 wird zurückgewiesen. Die „Kann-Regelung“ des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. § 2 Nr. 1 TierSchG verlangt von der zuständigen Behörde eine Ermessensentscheidung, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und unter Beachtung des Übermaßverbots getroffen wird. Bei der Prüfung tierschutzwidrigen Verhaltens obliegt die abschließende Bewertung von Leiden und Schmerzen eines Tieres nicht den untersuchenden Tierärzten, sondern der zuständigen Behörde mithilfe des Amtstierarztes (§§ 15 Abs. 2, 16 Abs. 1 TierSchG); eine Delegation auf einzelne Tierärzte oder Kliniken ist nicht zulässig. Voraussetzung für die Anwendung des § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG ist, dass ein Verstoß gegen das TierSchG festgestellt wurde oder die konkrete Gefahr eines tierschutzwidrigen Verhaltens besteht, wobei eine konkrete Gefahr gegeben ist, wenn ein Verhalten voraussichtlich zu einem Verstoß führen wird. Tierschutzrechtliche Maßnahmen zur Gefahrenvorsorge oder zu Gefahrenerforschungszwecken im Vorfeld konkreter Gefahren fallen nicht unter § 16a TierSchG. Bei solchen Gefahrenerforschungsmaßnahmen ist die Amtstierärztin nur befugt, als Sachverständige Auskünfte einzuholen (§ 15 Abs. 2 TierSchG) und eigene Untersuchungen durchzuführen oder in Auftrag zu geben, wobei die Halterin zur Mitwirkung verpflichtet ist (§§ 16 Abs. 2, 3 TierSchG; §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 Satz 1 ThürVwVfG i. V. m. § 26 VwVfG).