Urteil: Details

Öffentliches Recht

Haltungs- und Betreuungsverbot

Pferd

VG Oldenburg

07.07.2022

7 B 1612/22

Sachverhalt

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen einen tierschutzrechtlichen Bescheid vom 18. Mai 2022, mit dem unter anderem die Fortnahme, Veräußerung sowie ein Haltungs- und Betreuungsverbot für ihre sechs Equiden angeordnet wurden.
Die Antragstellerin hielt fünf Ponys und ein Fohlen auf einer Weide, die am 31. März 2022 nach einem Hinweis der Polizei vom Veterinäramt kontrolliert wurde. Die Amtstierärzte stellten erhebliche tierschutzrechtliche Missstände fest: Die Tiere waren unterversorgt, mindestens eines in einem schlechten Ernährungszustand, mehrere hatten unbehandelte Hufe, es fehlten Futter, Unterstand, Windschutz und eine sichere Einzäunung. Die Tiere waren seit einer Woche ungeschützt der Witterung ausgesetzt. Die Antragstellerin wurde telefonisch angehört und kündigte zwar an, die Tiere abholen zu wollen, konnte aber keine konkreten Angaben machen. Aufgrund der akuten Witterungslage und einer möglichen Infektion mit der hochansteckenden Pferdekrankheit „Druse“ wurden die Tiere noch am selben Abend amtlich sichergestellt und zunächst in einem leerstehenden Stall untergebracht.
Diese Sicherstellung wurde mit Bescheid vom 6. April 2022 bestätigt (§§ 64 Abs. 2, 65, 69, 70 Abs. 1 Satz 3, 74 Abs. 1 Satz 2 NPOG i.V.m. §§ 16, 16a TierSchG). Der Antragsgegner begründete sein Vorgehen mit einer gegenwärtigen Gefahr für das Wohl der Tiere und der prognostizierten Unzuverlässigkeit der Halterin (§ 2 Nr. 2 NPOG). Auch die Sicherstellung der Equidenpässe wurde mit einem weiteren Bescheid vom 7. April 2022 auf Grundlage tierschutz- und ordnungsrechtlicher Vorschriften angeordnet, da der Antragsgegner durch die Sicherstellung faktisch Tierhalter geworden war und die rechtmäßige Weiterverbringung der Tiere gewährleistet werden musste (§ 44b ViehVerkV).
Nach Anhörung der Antragstellerin erließ das Veterinäramt schließlich am 18. Mai 2022 den streitgegenständlichen Bescheid. Neben der Fortnahme der Tiere (§ 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG) wurden auch deren Veräußerung sowie ein umfassendes Haltungs- und Betreuungsverbot für Equiden ausgesprochen (§ 16a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 TierSchG). Zur Begründung wurde auf die festgestellten gravierenden Verstöße gegen § 2 Nr. 1 TierSchG (Anforderungen an Haltung, Pflege, Ernährung) verwiesen, die als grob tierschutzwidrig bewertet wurden (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG). Die nachträglich durchgeführten tierärztlichen Untersuchungen bestätigten den desolaten Zustand der Tiere (Druse beim Hengst, Räude beim Fohlen, vernachlässigte Hufe), sodass eine Rückgabe der Tiere ausgeschlossen und ein dauerhafter Ausschluss der Antragstellerin von Haltung und Betreuung angezeigt sei.
Die Antragstellerin erhob am 3. Juni 2022 Klage und beantragte zugleich vorläufigen Rechtsschutz. Noch vor der Entscheidung verkaufte der Antragsgegner die Tiere mit Verträgen vom 8. Juni 2022.

Beurteilung

Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 18. Mai 2022 ist zulässig und begründet. Für die in Ziffer 1 bis 4 des Bescheides enthaltenen Maßnahmen – Fortnahme und Unterbringung der Tiere, Veräußerung und das Haltungs- sowie Betreuungsverbot – ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft, da deren sofortige Vollziehung gemäß Ziffer 6 des Bescheides angeordnet wurde. Für die Zwangsmittelandrohungen in Ziffer 5 und 6 ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da diese gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 4 Satz 1 NPOG kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung. Diese Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus, da der angegriffene Bescheid mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist.
Die Anordnung der Fortnahme und Unterbringung der Tiere ist voraussichtlich rechtswidrig, da sie gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 TierSchG nur zulässig ist, wenn Tiere erheblich vernachlässigt sind oder schwerwiegende Verhaltensstörungen zeigen. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung ist der 18. Mai 2022 – Zeitpunkt der Bescheidsbekanntgabe. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Ponys bereits über sechs Wochen in behördlichem Gewahrsam, waren tierärztlich versorgt, erhielten ausreichend Futter, Wasser und Pflege. Eine erhebliche Vernachlässigung lag damit nicht mehr vor. Auch die behördliche Prognose zukünftiger Verstöße trägt die Maßnahme nicht, da sie nicht auf einer nachvollziehbaren, logisch hergeleiteten Begründung beruht, sondern allein auf einer allgemeinen Einschätzung der Amtstierärzte. Die Prognose, dass sich das Verhalten der Antragstellerin nicht bessern werde, ist damit nicht tragfähig. Zudem fehlt es an einer Prüfung milderer Mittel nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG, wie etwa Fristsetzungen oder Zwangsgeldandrohungen zur Herstellung tierschutzkonformer Zustände. Das macht die Fortnahme unverhältnismäßig.
Auch die Veräußerungsanordnung ist rechtswidrig. Gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 TierSchG setzt diese eine vorherige Fristsetzung voraus, es sei denn, diese ist ausnahmsweise entbehrlich. Die Entbehrlichkeit begründet der Antragsgegner hier allein mit dem gleichzeitig ausgesprochenen Haltungs- und Betreuungsverbot. Da dieses Verbot jedoch rechtswidrig ist, entfällt auch die Grundlage für die Annahme der Entbehrlichkeit. Weitere Voraussetzungen wie die Unmöglichkeit der anderweitigen Unterbringung oder ein bestandskräftiges Tierhaltungsverbot lagen ebenfalls nicht vor. Auch war die Fortnahme – wie bereits festgestellt – rechtswidrig, sodass sich dieser Fehler gemäß der Rechtsprechung des BVerwG auch auf die Veräußerungsanordnung auswirkt. Zudem ist die Anordnung ermessensfehlerhaft im Sinne von § 114 VwGO, da der Antragsgegner die Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend geprüft hat. Die Begründung, andere Mittel kämen wegen des Haltungs- und Betreuungsverbots nicht in Betracht, trägt nicht, da dieses – wie dargestellt – rechtswidrig ist. Eine Abwägung zwischen dem Eigentumsrecht der Antragstellerin (Art. 14 Abs. 1 GG) und dem Tierschutz (Art. 20a GG, § 1 TierSchG) wurde nicht ausreichend vorgenommen.
Auch das Haltungs- und Betreuungsverbot ist rechtswidrig. Es beruht auf § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG, wonach ein solches Verbot nur bei wiederholten oder groben Verstößen gegen § 2 TierSchG ausgesprochen werden darf, wenn zusätzlich eine negative Prognose für die Zukunft vorliegt. Zwar bejaht das Gericht Zuwiderhandlungen gegen § 2 Nr. 1 TierSchG auf Grundlage der amtstierärztlichen Feststellungen, kann jedoch die Einstufung dieser Verstöße als „grob“ nicht nachvollziehen, da die Begründung fehlt. Eine bloße Behauptung ohne fachlich gestützte Herleitung genügt nicht den Anforderungen. Auch die erforderliche Prognose zukünftiger Zuwiderhandlungen ist nicht überzeugend begründet. Die bloße Wiederholung der am 31. März 2022 festgestellten Verstöße reicht nicht aus. Ferner fehlt es an der Prüfung milderer Mittel, wie etwa die Beschränkung auf bestimmte Tierarten oder Höchstzahlen, Schulungsauflagen oder befristete Maßnahmen. Ein generelles und unbefristetes Verbot ohne vorherige Prüfung dieser Alternativen ist unverhältnismäßig.
Die Zwangsmittelandrohungen in Ziffer 5 und 6 des Bescheides sind ebenfalls rechtswidrig, da sie auf den zuvor genannten Maßnahmen aufbauen, welche selbst rechtswidrig sind. Auch eine beabsichtigte Kostenfestsetzung gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG ist nicht ohne Weiteres zulässig. Da die Fortnahme erst mit dem Bescheid vom 18. Mai 2022 wirksam angeordnet wurde, können die bereits seit dem 31. März 2022 entstandenen Kosten nicht auf dieser Grundlage erhoben werden.
Insgesamt überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der tierschutzrechtlichen Anordnungen, da diese Anordnungen nach summarischer Prüfung rechtswidrig sind.

Entscheidung

Die Frage, ob eine Person künftig tierschutzkonform handelt, ist keine veterinärmedizinische Einschätzung und fällt daher nicht unter die Beurteilungskompetenz der Amtstierärzte nach § 15 Abs. 2 TierSchG. Die pauschale Berufung auf deren Bewertung reicht nicht aus, um eine negative Zukunftsprognose zu begründen. Mangels tragfähiger Begründung ist die Anordnung rechtswidrig, sodass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 18. Mai 2022 wiederhergestellt bzw. angeordnet wird.