Urteil: Details

Öffentliches Recht

Tierseuchen

Makaken

VG Bremen

24.04.2017

5 V 2729/23

Sachverhalt

Der Antragsteller forscht seit 1997 an der Universität Bremen im Bereich der Neuro- und Kognitionswissenschaften und führt dafür Tierversuche an Makaken durch, bei denen die Tiere über Flüssigkeitsmanagement konditioniert werden, visuelle Aufgaben lösen, in Primatenstühlen sitzen, der Kopf fixiert wird und Elektroden ins Gehirn eingeführt werden, wofür operative Schädelöffnungen nötig sind. Die Genehmigungen für diese Versuche wurden ihm seit 1998 befristet erteilt, erstmals verweigerte die Behörde 2008 eine Verlängerung. Am 14.08.2023 beantragte er erneut eine Genehmigung für fünf Jahre für 17 bereits verwendete und 10 neue Makaken. Der Tierschutzbeauftragte der Universität Bremen befürwortete das Vorhaben. Die Antragsgegnerin holte Gutachten zu Alternativmethoden und zur Belastung der Tiere ein, die teilweise widersprüchliche Aussagen enthielten. Die Kommission nach § 15 TierSchG und das Bundesamt für Risikobewertung kamen zu dem Ergebnis, dass keine Alternativmethoden existieren und eine Genehmigung möglich sei. Am 13.11.2023 lehnte die Senatorin den Antrag ab, da das Vorhaben nach § 8 TierSchG ethisch nicht vertretbar sei, die Belastung der Tiere schwer bis schwerst sei und der zu erwartende Erkenntnisgewinn gering sei. Der Antragsteller erhob Widerspruch und beantragte am 21.11.2023 einstweiligen Rechtsschutz, um die Tierversuche bis zur Entscheidung fortzuführen, wobei er unter anderem den Verlust bereits erhobener Daten und Drittmittelprojekte sowie eine unzureichende Auseinandersetzung der Behörde mit seinen Unterlagen geltend machte.

Beurteilung

Der Antragsteller wollte Versuche an insgesamt 27 Makaken durchführen, darunter 17 bereits genutzte und 10 neue Tiere. Tierversuche an Wirbeltieren bedürfen nach § 8 Abs. 1 TierSchG der Genehmigung, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die Tiere verbunden sein können (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 TierSchG). Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 Satz 2 TierSchG erfüllt sind, insbesondere die wissenschaftliche Rechtfertigung und die Unerlässlichkeit des Versuchs (§ 7a Abs. 1 und 2 Nr. 1–3 TierSchG).
Der Antragsteller verfolgte mit den Versuchen Grundlagenforschung und die Erforschung physiologischer Vorgänge beim Menschen und Tier. Nach Ansicht der zuständigen Sachverständigen stehen derzeit keine alternativen Methoden zur Verfügung, die die komplexe neuronale Aktivität in Makaken ersetzen könnten. Insbesondere In-vitro-Methoden, Computersimulationen oder nicht-invasive Verfahren am Menschen sind für die geplanten Fragestellungen ungeeignet. Auch die Verwendung von Primaten ist zulässig, da ihre neuronale Physiologie den menschlichen Gegebenheiten am nächsten kommt (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 und 2 TierSchVersV).
Die ethische Vertretbarkeit eines Tierversuchs (§ 7a Abs. 2 Nr. 3 TierSchG) wird durch eine Abwägung zwischen der Belastung der Tiere und dem wissenschaftlichen Nutzen bestimmt. Dabei sind gesellschaftliche Wertvorstellungen oder Umfrageergebnisse nicht maßgeblich; entscheidend ist das Gesetz und die Rechtsprechung, insbesondere Art. 20a GG.
Die Belastung der Tiere wird nach veterinärkundlichen Maßstäben bewertet, einschließlich Schmerzen, Leiden, Schäden und Ängsten, die während des Versuchs auftreten können. Das natürliche Verhalten der Tiere, die Dauer der Versuche und kumulative Belastungen müssen berücksichtigt werden. Der Schweregrad wird nach RL 2010/63/EU in „keine Wiederherstellung der Lebensfunktion“, „gering“, „mittel“ oder „schwer“ eingestuft und bezieht sich auf die schwerste erwartbare Belastung eines einzelnen Tieres unter Anwendung aller Verbesserungstechniken.
Das 3-R-Prinzip („replace, reduce, refine“) ist verpflichtend: Tierversuche sollen ersetzt, die Zahl der Tiere reduziert und die Methoden verbessert werden, um die Belastung möglichst gering zu halten (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG, Art. 4 Abs. 2 und 3 RL 2010/63/EU). Tiere, die besonders empfindlich auf Belastungen reagieren, müssen aus dem Versuch genommen werden. Auch die retrospektive Bewertung bereits abgeschlossener Versuche ist Pflicht (§ 35 Abs. 1 TierSchVersV).
Die Prüfung der ethischen Vertretbarkeit und der Belastung ist umfassend, berücksichtigt das gesamte Lebensumfeld der Tiere und schließt Belastungen vor der Versuchsdurchführung, z. B. während der Zucht, nicht ein, wenn diese von einer anerkannten Einrichtung wie dem Deutschen Primatenzentrum verantwortet werden.

Die von der Antragsgegnerin eingeholten Gutachten sind für die Einstufung der Tierbelastung als „schwer“ oder „schwerste“ ungeeignet. Das Gutachten von Dr. S ist aufgrund ihrer Tätigkeit in einem tierversuchsablehnenden Verein befangen und unbrauchbar. Das Gutachten von Prof. Dr. W enthält gravierende methodische Defizite und ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar, sodass keine verlässliche Grundlage für die Belastungseinschätzung vorliegt. Frühere Entscheidungen stufen vergleichbare Versuche als höchstens mittelgradig belastend ein.
Die Bedeutung des Forschungsvorhabens wurde von der Behörde nicht sachgerecht geprüft. Die Grundlagenforschung ist gleichrangig zu anwendungsorientierter Forschung, ein unmittelbarer klinischer Nutzen ist nicht erforderlich. Die vorhandenen Gutachten bewerten nur Teilaspekte; eine vollständige Abwägung zwischen Tierbelastung und Forschungswert ist nicht möglich.
Die ethische Vertretbarkeit der Tierversuche konnte daher nicht abschließend beurteilt werden. Die Kammer stellte jedoch fest, dass die bisherige Tierbelastung überwiegend bereits erfolgt ist und dass der Nutzen des Forschungsvorhabens die Belastung überwiegt, insbesondere angesichts der erheblichen Folgen einer Unterbrechung des Projekts für Messergebnisse, Drittmittel und wissenschaftliche Karrieren.
Die Behörde unterliegt einer vollen gerichtlichen Kontrolle bei der Genehmigung nach §§ 7a, 8 TierSchG. Aufgrund der Defizite der Gutachten und der Bedeutung des Projekts wird eine einstweilige Anordnung zur Fortführung des Versuchsvorhabens erteilt, wobei neue Makaken zunächst nur eingewöhnt und trainiert werden dürfen, ohne invasiven Eingriffen ausgesetzt zu werden.

Entscheidung

Das Gericht entschied, dass das Forschungsvorhaben trotz methodischer Mängel der Gutachten vorläufig fortgeführt werden darf, da die bisherige Tierbelastung überwiegend erfolgt ist, die Bedeutung des Projekts den Eingriffen überwiegt und die vollständige Abwägung von Tierbelastung und Forschungswert noch nicht sachgerecht geprüft wurde.