Die Europäische Union (EU) hat, nachdem sie in 2014 die Verordnung zu invasiven Arten erließ, mit Wirkung von August 2016 die zugehörige erste Artenliste mit 37 Tier- und Pflanzenarten veröffentlicht. Die erste Erweiterung der Unionsliste mit 12 weiteren invasiven Arten ist am 2.8.2017 in Kraft getreten, wobei die Listung für eine Art (Marderhund) erst ab 2.2.2019 gilt. Am 15.8.2019 ist die zweite Erweiterung der Unionsliste mit 17 invasiven Arten in Kraft getreten. Am 2.8.2022 ist die dritte Erweiterung der Unionsliste mit 22 invasiven Arten in Kraft getreten, wobei die Listung für vier Arten erst ab 2.8.2024 bzw. 2.8.2027 gilt. Zukünftig können weitere invasive Arten gelistet werden.
Intention der Verordnung ist es, invasive gebietsfremde Arten, die nachteilige Folgen für die heimische Biodiversität haben können, zu verringern. Sie sieht neben Einfuhrbeschränkungen auch Beschränkungen der gewerblichen und privaten Haltung vor.
Nach Einschätzung der Landestierschutzbeauftragten (LBT) gehen allerdings die größten Gefahren für die Biodiversität in Deutschland derzeit nicht von invasiven Arten sondern vielmehr von anderen Faktoren aus. Hier sei besonders der stetig wachsende Ressourcenverbrauch genannt, einhergehend mit veränderter land-, wald- und wasserbaulicher Nutzung sowie die zunehmende Zerstückelung der Landschaft. Einerseits ist es richtig und wichtig, die Etablierung weiterer Arten möglichst zu verhindern und hier konsequent vorzugehen. Andererseits sind einige der gelisteten Arten bereits seit vielen Jahrzehnten oder länger in Hessen und Mitteleuropa angekommen, sie sind mittlerweile feste Bestandteile unseres heimischen Ökosystems.
Auf der besagten Liste der invasiven Arten von EU-weiter Bedeutung stehen neben invasiven Krebsen auch Wirbeltiere wie der Waschbär, die Nutria und die nordamerikanische Schmuckschildkröte.
Für die gelisteten Arten gelten (tlw. mit Übergangsfristen) für die Haltung Handels- und Transportverbote sowie für die im Freiland vorkommenden Arten Beseitigungs- oder Managementverpflichtungen, je nachdem ob die Arten schon weit verbreitet sind oder ob sie erstmals in einem Gebiet auftauchen.
Für die in Deutschland bereits weit verbreiteten Arten der ersten Liste der EU wurden auf nationaler Ebene von den Bundesländern gemeinsam sogenannte Maßnahmenblätter entwickelt, die als einheitliche Richtlinie und Grundlage für das Management dieser Arten dienen. Die darin aufgeführten Managementmaßnahmen können sowohl tödliche wie auch nicht tödliche Maßnahmen enthalten. Ob und wo in Hessen es sinnvoll sein kann, etwas gegen im Freiland vorkommende, weit verbreitete Arten der Unionsliste zu tun, bedarf jeweils im Einzelfall der fachlichen Abstimmung.
Man kann davon ausgehen, dass es bei den bereits etablierten Arten nicht möglich sein wird, sie an der weiteren Ausbreitung zu hindern oder gar vollständig aus unserem Ökosystem zu entfernen. Es geht bei ihnen also vor allem darum, eine weitere Ausbreitung zu verhindern, lokale Populationen und ggf. negative Auswirkungen auf heimische Arten zu kontrollieren, eventuelle Schäden zu minimieren und entsprechende Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit zu betreiben.
Gerade bei schon weit verbreiteten Arten wie beispielsweise dem Waschbären ist die Tötung nicht zwingend erforderlich. Bevor Tiere getötet werden, ist zu prüfen, ob es mildere Mittel gibt, Schäden zu minimieren.
Auch die invasiven (Wirbel-)tiere unterliegen in Deutschland dem Tierschutzrecht, das heißt, wenn Exemplare dieser Arten in Not geraten, darf ihnen geholfen werden. Aus Sicht des Tierschutzes ergibt sich insbesondere bei der Aufnahme von Tieren aus der freien Natur in die menschliche Obhut die rechtliche Schwierigkeit, dass die EU-Verordnung jegliches „Freisetzen“ von Exemplaren invasiver gebietsfremder Arten in die Umwelt verbietet.
Das BNatSchG dagegen erlaubt es, „verletzte, hilflose oder kranke Tiere“ (§ 45 Abs. 5 BNatSchG) zur Gesundpflege aufzunehmen, wenn es beabsichtigt und möglich ist, sie wieder unverzüglich in die Natur zu entlassen. Es besteht also ein rechtlicher Zielkonflikt zweier sich scheinbar widersprechender Rechtsgrundlagen.
Die Aufnahme von Wildtieren ausschließlich mit dem Ziel der dauerhaften Haltung in menschlicher Obhut ist nach Auffassung der Landestierschutzbeauftragten in aller Regel nicht tier- und artgerecht; die lebenslange Haltung von Tieren aus der freien Natur in Gefangenschaft ist meist mit langanhaltenden Leiden für die einzelnen Individuen verbunden.
Bei geeigneten Tierarten - insbesondere bei der Aufnahme und Pflege von Waschbären oder Nutrias – ist daher unter Umständen zu prüfen, die Tiere nach Aufnahme und Gesundpflege unfruchtbar zu machen und wieder in die Natur zu entlassen. Dies aber ausschließlich in Bereiche, in denen die Art bereits sowieso vorkommt und wo durch das Zurücksetzen keine Naturschutzmaßnahmen beeinträchtigt werden. Das verbotene „Freisetzen [einer invasiven Art] in die Umwelt“ findet dann nicht statt, wenn einzelne Exemplare lediglich nach einer Notversorgung wieder dorthin zurückgesetzt werden, wo diese Art bereits vorkommt.
Es gilt nun, solche Maßnahmen zu testen und zu evaluieren, sprich die Wirksamkeit mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden zu überprüfen.
Auch die EU-Kommission hat bereits in 2017 auf Anfrage mitgeteilt, dass „auch wenn Artikel 7(h) die Einbringung des Waschbären in die Umwelt verbietet, dürfen daher … die Deutschen Behörden meines Erachtens über angemessene Managementmaßnahmen, welche die Auswirkungen der weit verbreiteten invasiven gebietsfremden Arten von unionsweiter Bedeutung auf die Umwelt wirkungsvoll minimieren, entscheiden. Dies schließt die von Ihnen vorgesehenen nicht-letalen Managementmaßnahmen an invasiven Arten, bei denen die behandelten Tiere in freier Wildbahn verbleiben dürfen („Pille für den Waschbären“, Immunkastration) oder bei denen sie anschließend wieder in die freie Natur entlassen werden (chirurgische Sterilisation nach Einfangen in Lebendfallen), mit ein…“