Pferdehaltung im weiteren Sinne umfasst neben den Haltungseinrichtungen selbst insbesondere auch die Fütterung, die Möglichkeiten zur Bewegung und das Management.
Auch wenn Pferde bereits seit ca. 5000 Jahren vom Menschen domestiziert und ihre Eigenschaften durch Zucht teilweise massiv verändert wurden, verfügen sie doch immer noch über viele Merkmale und damit auch Bedürfnisse ihrer ungezähmten Vorfahren:
Als ehemalige Steppenbewohner sind Pferde darauf eingerichtet, große Strecken vorrangig im Schritt zurückzulegen. Ein erheblicher Teil entfällt dabei auf die Futteraufnahme (Grasen), die in langsamer Bewegung stattfindet. Dabei werden stetig kleine Mengen aufgenommen, ohne dass größere Intervalle ohne Futteraufnahme auftreten.
Dies ist anders als beispielsweise bei Fleischfressern, die sich an einem erbeuteten Tier kurzfristig sattfressen, dafür aber auch längere Perioden ohne Futterangebot tolerieren können. Da das im natürlichen Lebensraum zur Verfügung stehende Futter nicht sehr gehaltvoll war, ist der Verdauungstrakt von Pferden speziell darauf eingerichtet, energiearmes, faserreiches Pflanzenmaterial höchst effektiv zu verwerten. Eine besondere Rolle spielt hierbei die bakterielle Verdauung in Blind- und Dickdarm, die ansonsten unverdauliches Material der Energiegewinnung zugänglich macht.
Pferde leben im Sozialverband mit Artgenossen, in einer Herde. Unter natürlichen Bedingungen besteht die Herde aus Stuten und ihrem Nachwuchs sowie einem Hengst. Dieser übernimmt v.a. Schutz- und Fortpflanzungsfunktionen, nicht jedoch die Rolle des Anführers. Diese Position wird von einer erfahrenen Leitstute ausgefüllt. Die Herde mit ihrer Struktur gibt dem Einzeltier die notwendige Sicherheit.
Für die sozialen Interaktionen verfügen Pferde über ein großes Repertoire an Verhaltensweisen und Kommunikationsmitteln.
Im Gegensatz zum Menschen spielen Vokalisationen (stimmliche Äußerungen) bei der Kommunikation mit Artgenossen eine geringere Rolle. Stattdessen verständigen sich Pferde über direkten Kontakt und vor allem Körpersprache. Die Position und Haltung des gesamten Körpers bzw. einzelner Körperteile wie z.B. Kopf, Schweif oder Ohren wird zur Informationsübermittlung verwendet. Dabei sind die möglichen Variationen und Nuancen wesentlich umfangreicher als lange Zeit angenommen. Pferde verfügen über eine sehr differenzierte Mimik, die zunehmend auch in den Fokus der Wissenschaft rückt.
So kann beispielsweise die Empfindung von Schmerzen sehr zuverlässig am Gesicht eines Pferdes abgelesen werden.
Neuere Forschung zeigt auch, dass Pferde in der Lage sind, bestimmte non-verbale Signale von Menschen zu verstehen und umgekehrt auch versuchen, so mit Menschen zu kommunizieren.
Als potentielle Beutetiere verfügen Pferde über entsprechende Sinnesorgane und eine körperliche Ausstattung, die es ihnen erlaubt, Beutegreifer früh zu erkennen und schlagartig zu flüchten.
Die Anordnung der Augen ermöglicht es Pferden beispielsweise, auch solche Gefahren visuell wahrzunehmen, die sich schräg hinter ihnen befinden. Und die unabhängige Ausrichtung der Ohren ermöglicht das Empfangen potentieller Gefahrengeräusche aus unterschiedlichen Richtungen.
Der Bewegungsapparat ist so konstruiert, dass schlagartig Fluchtbewegungen erfolgen können.
Pferde sind in der Lage, große Temperaturschwankungen zu tolerieren, wobei grundsätzlich Kälte besser vertragen wird als Hitze. Wichtige zusätzliche Faktoren sind dabei Sonneneinstrahlung, Niederschläge, Wind und Luftfeuchtigkeit.
In menschlicher Obhut erleben Pferde häufig eine völlig andere Umwelt, als es ihren Bedürfnissen entspricht:
Der Bewegungsspielraum ist eingeengt, u.U. bis auf die Maße einer Box von wenigen Quadratmetern und das über den gesamten Tag. Möglichkeiten zur freien, also nicht vom Menschen kontrollierten, Bewegung sind beschränkt oder gar nicht vorhanden. Kurzes Laufenlassen in der Reithalle, Führmaschine oder Grasen an der Hand stellen keine ernstzunehmende freie Bewegung dar.
Neben erzwungenen Phasen vollständiger Bewegungslosigkeit werden beim Reiten oder der sonstigen Nutzung relativ übergangslos hohe Leistungen verlangt, die dann wieder in Bewegungslosigkeit übergehen. Ein Leben in einer stabilen Herde ist häufig nicht möglich, die natürliche Sozialstruktur einer Herde ist in menschlicher Obhut kaum zu realisieren. Auch Sozialkontakte sind teilweise stark eingeschränkt oder völlig unterdrückt.
Temperaturreize finden ebenfalls kaum statt oder werden durch Maßnahmen wie Scheren und/oder Eindecken beeinträchtigt bzw. ins Extreme verschoben.
Die Fütterung entspricht weder hinsichtlich der verfütterten Futtermittel, noch hinsichtlich der Gestaltung den physiologischen Bedürfnissen. In vielen Ställen gelten feste Fütterungszeiten mit langen Pausen dazwischen. Zudem werden teilweise hochenergetische Futtermittel in großen Mengen gegeben, auf die der Verdauungstrakt von Pferden gar nicht ausgerichtet ist. Hinzu kommt, dass ein Großteil der im Amateur- und Freizeitsport genutzten Pferde gar nicht den Energiebedarf aufweist, der solche Futtermittel notwendig machen würde.
Niemand käme auf die Idee, einen menschlichen Leistungssportler den größten Teil des Tages ohne Kontakt zu seinen Mitmenschen an einen Stuhl zu fesseln, ihm zwischendurch einen Schweinebraten mit Knödeln zu servieren und ihn dann zu nötigen, sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Aber genau diesem Szenario entsprechen die Bedingungen, unter denen leider immer noch viele Pferde gehalten werden.
In Deutschland sind dies insgesamt ca. 1,25 Millionen, wobei nähere Daten zur Haltungsform im Einzelnen leider fehlen.
Geradezu im Gegensatz zu dieser Nichterfüllung essentieller Bedürfnisse steht die „Versorgung“ mit Equipment, Nahrungsergänzung sowie Pflegemitteln aller Art, die in der Pferdehaltung einen zunehmend größeren Umfang annimmt.
Ob es sich um die neueste Kollektion von farbgerecht ausgesuchten Bandagen, Decken oder um Ergänzungsfuttermittel handelt, die Sinnhaftigkeit wird kaum hinterfragt und die Werbung suggeriert sehr erfolgreich, dass es ohne derartige Zusatzmaßnahmen nicht geht. Dabei wird völlig übersehen, dass ein Großteil der Probleme, die damit behoben werden sollen, ihren Ursprung anderswo hat.
Beispielsweise könnte man auf die Kräuter für bessere Lungengesundheit verzichten, hätte das Pferd ausreichend frische Luft und die Bandagen, die gegen angelaufene Beine helfen sollen, letztlich aber das Lymphsystem schädigen, und auch das Pulver zur Beruhigung der Nerven wären bei artgemäßer Bewegung überflüssig.
Erfreulicherweise hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland hinsichtlich der Haltungsform von Pferden einiges getan. Ein Umdenken findet statt, weg von reiner Boxenhaltung hin zu Haltungskonzepten, die den Bedürfnissen von Pferden eher entgegenkommen.
Dennoch entspricht die Haltung vieler Pferde bei weitem noch nicht überall den Anforderungen, die diese Tierart stellt. Je nach Nutzung aber auch aus Bequemlichkeit werden bestimmte Haltungsformen immer noch als ungeeignet abgelehnt, obwohl doch nur eine optimale Haltung Wohlbefinden, einen stabilen Gesundheitszustand und das Erbringen von Leistung ermöglicht.