Urteil: Details

Öffentliches Recht

Tierschutz - Sonstiges

Küken

VG Minden

30.01.2015

2 K 80/14

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Untersagung der Tötung männlicher, nicht zur Schlachtung geeigneter Küken im Betrieb des Klägers.

Der Kläger betreibt seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einen Brütereibetrieb, in dem Eier von Legehennen aus spezialisierten Legelinien ausgebrütet werden. In der Brüterei des Klägers werden jährlich ca. 800.000 Eier für Junghennenküken ausgebrütet. Von den männlichen Küken werden ca. 200.000 lebend abgegeben und ca. 200.000 getötet.

Im Juli 2013 stellte die Staatsanwaltschaft N. das Ermittlungsverfahren gegen den Betreiber einer Brüterei wegen eines Verstoßes gegen § 17 TierSchG aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gem. § 170 StPO ein. Zugleich führte sie aus, dass ein \"vernünftiger Grund\" i.S.d. § 17 TierSchG, männliche Eintagsküken zu töten, nicht erkennbar sei.

Mit Ordnungsverfügung vom 18. Oktober 2013 untersagte der Beklagte dem Kläger ab dem 01. Januar 2015 die Tötung männlicher, nicht zur Schlachtung geeigneter Küken. Er begründete seine Untersagung unter Hinweis auf § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG i.V.m. § 1 S. 2 TierSchG. Rein ökonomische Gründe, wie sie der Tötung männlicher Eintagsküken zugrunde lägen, genügten als vernünftiger Grund i.S.d. TierSchG nicht. Die seit Jahrzehnten praktizierte Tötung von ökonomisch nicht verwertbaren Eintagsküken sei vor derm Hintergrund des gewandelten öffentlichen Bewusstseins für Tierschutzangelegenheiten nicht mehr zu rechtfertigen. Im Hinblick auf den betrieblichen Umstellungsbedarf werde die Tötung erst ab dem 1. Januar 2015 untersagt.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes vorliege. Ein Verbot der Tötung von Eintagsküken greife erheblich in die Grundrechte der Tierhalter (Art. 12 und Art. 14 GG) ein und sei für die Strafbarkeit gem. § 17 TierSchG bedeutend und ließe sich deshalb nicht auf die Generealklausel des § 16a TierSchG stützen. Es bedürfe vielmehr einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des parlamentarischen Gesetzgebers. Zudem sei die Tötung der Küken durch den europäischen und den deutschen Verordnungsgeber zugelassen. Außerdem sei die Tötung durch einen vernünftigen Grund i.S.v. § 1 S. 2 TierSchG gerechtfertigt. Neben wirtschaftlichen Gesichtspunkten seien auch ökologische Aspekte und das öffentliche Interesse an einer preisgünstigen Lebensmittelproduktion zu berücksichtigen. Art. 20a GG räume den Belangen des Tierschutzes keinen pauschalen Vorrang ein. Im Übrigen seien die wirtschaftlichen Folgen des Klägers nur unzureichend ermittelt und dementsprechend auch in der Ermessensausübung nicht hinreichend berücksichtigt worden. Bei einer Untersagung der Tötung müsse der Kläger seinen Brutbetrieb einstellen. Die Umsetzungsfrist eines Jahres reiche für eine Umstellung des Betriebs nicht aus.

Der Beklagte führt hiergegen im Wesentlichen aus, dass § 16a TierSchG taugliche Ermächtigungsgrundlage der Verfügung sei. Es liege keine neue Erscheinugnsform der Berufsausübung vor. Die für den Grundrechtseingriff notwendige Güterabwägung habe im Rahmen des § 1 S. 2 TierSchG stattzufinden. Weder die VO (EG) Nr. 1099/2009 noch die sie umsetzende Tierschutz-Schlachtverordnung seien zur Rechtfertigung der Tötung geeignet, da sie nur das \"Wie\" und nicht das \"Ob\" der Tötung regelten. Es gebe mögliche Alternativen wie die frühzeitige Geschlechterbestimmung, die Zucht eines Zweinutzungshuhns, Die Nutzung männlicher Küken wie im Rahmen der \"Bruderhahn Inititative Deutschland\" oder die Verlängerung des Einsatzes der Legehennen, um die Anzahl der benötigten Legehennen und damit auch der männlichen Küken zu verringern. Eine jahrelange \"Duldung\" der Vorgehensweise des Klägers begründe kein schutzwürdiges Vertrauen, wonach die Untersagung rechtswidrig wäre. Eine wirtschaftliche Existenzvernichtung des Klägers sei nicht substantiiert dargelegt worden.

Beurteilung

Die angefochtene Ordnungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Die Untersagungsverfügung kann weder auf eine spezialgesetzliche Verbotsnorm noch auf die tierschutzrechtliche Generalklausel gestützt in § 16a S. 1 TierSchG gestützt werden.

1. Weder aus spezialgesetzlichen europarechtlichen noch aus nationalen Vorschriften ergibt sich eine Ermächtigungsgrundlage, auf die das Tötungsverbot gestützt werden könnte. Insbesondere die VO (EG) Nr. 1099/2009 regelt das Verfahren zur massenweisen Tötung von Küken und setzt damit inzident voraus, dass die Tötung als zulässig erachtet wird. Auch die nationale TierSchlachtV beinhaltet keine spezialgesetzliche Grundlage, nach der das Töten von Küken verboten ist oder verboten werden kann.

2. Die tierschutzrechtliche Generalklausel in § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG i.V.m. § 1 S. 2 TierSchG scheidet (auch übergangsweise) als Ermächtigungsgrundlage aus, weil es sich bei der Untersagungsverfügung um einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Tierhalter handelt, für den es auch im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit gem. § 17 TierSchG einer besonderen gesetzlichen Regelung bedarf. Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratie wurzelnde Parlamentsvorbehalt sowie das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verpflichten den Gesetzgeber, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen und sie nicht der Verwaltung zu überlassen. Anerkannt ist, dass die ordnungsrechtliche Generalklausel dann nicht als Grundlage für einen Eingriff in die Berufsfreiheit ausreicht, wenn es der Sache nach darum geht, eine (neu) verbreitete Erscheinungsform der Berufsausübung unter Berücksichtigung einer Mehrzahl verschiedener Interessen abwägend zu bewerten, da eine solche Entscheidung dem Gesetzgeber obliegt. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung darüber, ob die betreffende Berufstätigkeit rechtlich zulässig ist, \"von einer verwickelten, in das Gebiet der Weltanschauung hineinreichenden, abwägenden Wertung einer Mehrzahl verschiedener Schutzinteressen\" abhängt. Gemessen an diesen allgemeinen Maßstäben reicht die tierschutzrechtliche Generalklausel zur Rechtfertigung eines Verbots des vom Kläger betriebenen Brutgeschäfts nicht aus. Unter wortgleicher Fortgeltung des § 1 S. 2 TierSchG soll aus einer seit über 50 Jahren für zulässig erachteten Praxis durch eine vom Beklagten angenommenen Weiterentwicklung der Gesellschaft eine rechtswidrige Tätigkeit geworden sein. Das Tötungsverbot greift massiv in die Berufsfreiheit des Klägers ein, weil damit eine Untersagung seines Brutgeschäfts einhergeht. Alternativen zur Tötungspraxis stehen dem Kläger zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu.

Steht damit das jahrzehntelang für zulässig erachtete Brutgeschäft des Klägers vor dem Aus, schränkt dies den Kläger auch in der Wahl seines Berufs ein. Ob demgegenüber eine gewandelte gesellschaftliche Bewertung des Tierschutzes aus Art. 20a GG generell überwiegt, ist eine wesentliche Frage, deren Entscheidung dem hierzu berufenen parlamentarischen Gesetzgeber obliegt.

Dies ergibt sich zudem auch im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit des Klägers gem. § 17 Nr. 1 TierSchG, da sonst allein die Änderung der gesellschaftlichen Wertvorstellung das Verständnis dieser Norm hin zu einer Strafbarkeit der betreffenden Brütereibeseitzer verändern würde.

3. Im Übrigen wäre die Untersagung der Tötung männlicher Küken auch ermessensfehlerhaft gewesen. Der Beklagte hätte in sein Ermessen einstellen müssen, inwieweit seine Untersagung angesichts der europaweit gebilligten und auch national üblichen Praxis der Tötung männlicher Küken aus Legelinien überhaupt dienen kann. Eine Untersagung nur in NRW dient dem angestrebten Ziel des Tierschutzes nur sehr begrenzt. Zudem erweist sich die vom Bekalgten eingeräumte Übergangsfrist von einem Jahr als unverhältnismäßig und damit ebenfalls als ermessensfehlerhaft. Dem Kläger ist es vor dem Hintergrund, dass die bisherige Tötungspraxis jahrzehntelang zumindest als gerechtfertigt angesehen wurde, nicht zuzumuten, seinen Betrieb innerhalb nur eines Jahres umzustellen.

Entscheidung

Die Klage ist zulässig und begründet.