Urteil: Details

Strafrecht

Nutztiere

Huhn

LG Oldenburg

11.06.1996

182 Js 2833/96

Sachverhalt

Der Angeklagte betrieb mehrere Hühnerfarmen und setzte ab Anfang 1993 in verschiedenen Fällen vorsätzlich nicht zugelassene und gesundheitsschädliche Mittel zur Behandlung von Krankheiten und Parasiten bei Legehennen ein. Zur Bekämpfung von Salmonellen verzichtete er auf zugelassene Medikamente wie das verschreibungspflichtige Baytril, da deren Anwendung mit Wartezeiten und wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war. Stattdessen verwendete er das Breitbanddesinfektionsmittel Virkon S, das in Deutschland keine Zulassung als Tierarzneimittel besitzt und nicht bei lebensmittelliefernden Tieren eingesetzt werden darf. Der Angeklagte ließ größere Mengen dieses Mittels dem Futter in mehreren Betrieben beimischen, wodurch die Hühner das Mittel über einen Zeitraum von mehreren Wochen täglich aufnahmen. Die Beimischung führte zu Reizungen und Verätzungen im Verdauungstrakt der Tiere und verursachte erhebliche Leiden und Schmerzen. Der Angeklagte war sich der Wirkung bewusst, nahm die Schädigung der Tiere aber in Kauf. Sein Verhalten erfüllt den Tatbestand der Tierquälerei nach § 17 Nr. 2b Tierschutzgesetz.
Zur Bekämpfung der Roten Vogelmilbe, eines parasitären Schädlings in Hühnerställen, ließ der Angeklagte ab Herbst 1994 in großem Umfang Nikotinsulfat einsetzen. Auch dieses Mittel war in Deutschland nicht als Tierarzneimittel zugelassen. Es wurde in leerstehende Ställe versprüht, in die kurz danach fast eine Million Junghennen eingestallt wurden, sowie in neun Fällen direkt in bereits mit Tieren belegten Ställen. In allen Fällen kam es bei den Tieren zu akuten Vergiftungserscheinungen wie Atemnot, Angstzuständen und langanhaltenden Schmerzen. Der Angeklagte handelte auch hier vorsätzlich und verstieß sowohl gegen das Tierschutzgesetz als auch gegen das Arzneimittelgesetz, insbesondere gegen § 96 Absatz 1 Nummer 5 AMG, da ein nicht zugelassenes Arzneimittel bei Tieren zur Lebensmittelgewinnung eingesetzt wurde.
In Folge des Einsatzes des Nikotinsulfats waren die Eier der betroffenen Legehennen mit Rückständen des Mittels belastet. Diese Eier wurden trotz des Verbots nach dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz in einer Größenordnung von etwa 6,9 Millionen Stück gewerblich in den Verkehr gebracht. Damit liegt ein Verstoß gegen § 5 in Verbindung mit § 44 LFGB (vormals LMBG) vor, da es sich um Lebensmittel handelt, die pharmakologisch wirksame Rückstände enthalten, deren Anwendung bei Tieren zur Lebensmittelgewinnung untersagt ist.
In einem Fall kam es im März 1995 zu einem schweren Arbeitsunfall, als ein Farmarbeiter bei der Ausbringung von Nikotinsulfat vergiftet wurde. Der Angeklagte verzögerte trotz Kenntnis des kritischen Zustands des Arbeiters und der lebensbedrohlichen Lage die notwendige medizinische Hilfe und untersagte zunächst sogar die Nennung der tatsächlichen Ursache im Krankenhaus. Erst nach mehreren Stunden wurde die richtige Diagnose ermöglicht. Dieses Verhalten begründet eine unterlassene Hilfeleistung im Sinne des § 323c StGB sowie eine Verletzung der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflichten gemäß § 618 BGB und § 3 Arbeitsschutzgesetz. Eine Strafverfolgung wegen Körperverletzung wurde im Hauptverfahren gemäß § 154 Absatz 2 StPO eingestellt.

Beurteilung

Der festgestellte Sachverhalt beruht im Wesentlichen auf den glaubhaften Aussagen des Angeklagten und weiterer Zeugen sowie auf mehreren gerichtlich eingeführten Sachverständigengutachten gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 StPO und Urkundenbeweisen gemäß § 249 StPO. Der Angeklagte hat den objektiven Tatverlauf größtenteils eingeräumt und unter anderem angegeben, beim damaligen Befall mit Salmonellen keine wirksamen Alternativen zum Einsatz des Mittels „Virkon S“ gehabt zu haben. Auch zum Einsatz von Nikotinsulfat gegen die Rote Vogelmilbe habe er sich entschlossen, da es seiner Einschätzung nach schnell verflüchtige und doppelt so lange wirke wie zugelassene Mittel, wobei Maßnahmen zur Minderung der Tierbelastung getroffen worden seien. Dennoch vermochte seine Einlassung ihn nicht zu entlasten, da er die verbotene Anwendung der Mittel bewusst in Kauf nahm, obwohl ihm deren Wirkung auf die Tiere bekannt war.
Auf Grundlage mehrerer veterinärmedizinischer Gutachten wurde festgestellt, dass die eingesetzten Substanzen bei den betroffenen Tieren erhebliche, lang anhaltende Schmerzen und Leiden verursacht und zu Rückständen in Lebensmitteln geführt haben. Das Gericht sah deshalb den Straftatbestand des § 17 Nr. 2 b Tierschutzgesetz (TierSchG) als erfüllt an, da Wirbeltieren erhebliche Schmerzen zugefügt wurden. Darüber hinaus wurden in Tateinheit Verstöße gegen § 95 Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) festgestellt, weil verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne tierärztliche Anweisung bei lebensmittelliefernden Tieren angewendet wurden. Zudem wurden fahrlässige Verstöße gegen § 51 Abs. 1a Nr. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 4 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) festgestellt, da kontaminierte tierische Lebensmittel in den Verkehr gebracht wurden. Im Fall einer unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) erkannte das Gericht ebenfalls auf Schuld, da der Angeklagte einem in Lebensgefahr geratenen Zeugen nicht half.
Die Taten stehen im Verhältnis der Tatmehrheit (§§ 53, 54 StGB). Bei der Strafzumessung wurde zugunsten des Angeklagten sein umfassendes Geständnis, die damit verbundene Verfahrensverkürzung, seine beschädigte Reputation sowie finanzielle Nachteile berücksichtigt. Auch die siebentägige Untersuchungshaft und ein gewisser Einsichtsgewinn wurden strafmildernd gewertet. Strafschärfend wirkte hingegen die einschlägige Vorverurteilung, das wirtschaftliche Gewinnstreben, der bewusste Einsatz hochtoxischer Mittel wie Nikotinsulfat in belegten Ställen und die Lebensgefährdung eines Zeugen durch unterlassene Hilfeleistung.

Entscheidung

Das Gericht verhängte je nach Delikt Einzelstrafen in Form von Geld- und Freiheitsstrafen. Daraus wurden eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sowie eine Gesamtgeldstrafe von 420 Tagessätzen zu je 5.000 DM gebildet. Die Freiheitsstrafe wurde gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt, da eine günstige Sozialprognose bestand und besondere Umstände für eine Strafaussetzung vorlagen. Schließlich wurde gegen den Angeklagten nach § 20 TierSchG ein lebenslanges Verbot des berufsmäßigen Umgangs mit Tieren jeder Art verhängt, da er sich durch wiederholte und intensive Verstöße als charakterlich ungeeignet erwiesen hatte. Dieses Berufsverbot erschien wegen der Schwere und Systematik der Verstöße als verhältnismäßig und notwendig, um zukünftige Tierschutzverletzungen zu verhindern.