Urteil: Details

Öffentliches Recht

Heimtiere

Hund

OVG Berlin-Brandenburg

27.05.2010

5 A 1.08

Sachverhalt

Ein in Frankfurt (Oder) wohnhafter Hundehalter, der mehrere Schäferhunde besitzt, richtet sich mit einem Normenkontrollantrag gegen den generellen Leinenzwang, der in der Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Stadt Frankfurt (Oder) vom 3. April 2006 festgelegt wurde. Konkret begehrt er die Unwirksamkeit von § 6 Abs. 2 der Stadtordnung, der das Anleinen von Hunden auf öffentlichen Straßen und Anlagen im gesamten Stadtgebiet vorschreibt. Die Stadtordnung stützt sich dabei auf § 26 Abs. 1 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG), welche den örtlichen Ordnungsbehörden die Befugnis gibt, Verordnungen zur Gefahrenabwehr zu erlassen.
Der Antragsteller hält den generellen Leinenzwang insbesondere außerhalb der Ortslagen und in den eingemeindeten Dorfbereichen für rechtsgrundlos und unverhältnismäßig. Er argumentiert, dass keine belastbaren statistischen Nachweise für eine allgemeine Gefahrenlage durch unangeleinte Hunde vorliegen und dass konkrete Gefahren situationsbezogen durch Einzelverfügungen geregelt werden könnten. Zudem sieht er durch die Verordnung eine Einschränkung des Rechts auf artgerechte Tierhaltung, da die verfügbaren Hundeauslaufflächen nicht ausreichend sind und vielfach mit weiteren Einschränkungen verbunden sind.
Die Stadt Frankfurt (Oder) hingegen begründet die Regelung mit dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Sie verweist darauf, dass unangeleinte Hunde eine Gefahr für Leib, Leben und Eigentum sowie die unbefangene Bewegungsfreiheit der Bürger darstellen können. Die Verordnung sei ausreichend bestimmt und auf das gesamte Hoheitsgebiet anwendbar. Ein genereller Leinenzwang sei erforderlich, da nur so das unberechenbare Verhalten von Hunden wirksam eingeschränkt werden könne. Die Belastungen für die Hundehalter seien im Hinblick auf die zu schützenden Rechtsgüter zumutbar, zumal ausreichend und gepflegte Hundeauslaufflächen zur Verfügung stünden.

Beurteilung

Der Normenkontrollantrag ist zulässig, aber unbegründet. Die zweijährige Antragsfrist war gewahrt, da die Stadtordnung vor dem 1. Januar 2007 veröffentlicht wurde. Der Antragsteller ist antragsbefugt, da ihn die Anleinpflicht als Hundehalter unmittelbar betrifft. Die Anleinpflicht ist weder formell noch materiell zu beanstanden. Die Stadtverordnetenversammlung war für den Erlass zuständig, die Formvorschriften wurden eingehalten und die Stadtordnung ordnungsgemäß ausgefertigt und verkündet. Der örtliche Geltungsbereich ist hinreichend bestimmt und umfasst auch die Ortsteile, zu denen Lossow zählt. Die Anleinpflicht gilt für öffentliche Straßen und Anlagen, nicht jedoch für andere Flächen wie Feldraine oder landwirtschaftliche Nutzflächen, die nicht der Allgemeinheit bestimmt zugänglich sind. Der Bußgeldtatbestand ist ausreichend bestimmt. Die Anleinpflicht beruht auf der Ermächtigung des Ordnungsbehördengesetzes zur Gefahrenabwehr. Es besteht eine abstrakte Gefahr durch unangeleinte Hunde, da ihr Verhalten unberechenbar ist und Gefahren für Menschen und andere Hunde bestehen. Ein statistischer Nachweis von Beißvorfällen ist nicht zwingend erforderlich, doch liegen entsprechende Zahlen vor, die die allgemeine Lebenserfahrung bestätigen. Die kommunale Anleinpflicht ist durch Landesrecht nicht ausgeschlossen, da solche Vorschriften ausdrücklich unberührt bleiben. Der Leinenzwang verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem Normgeber steht bei der Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahme ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Das Anleingebot ist rechtlich gerechtfertigt, da mildere Mittel zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen und der Verordnungsgeber nicht verpflichtet ist, auf die individuelle Gefährlichkeit jedes einzelnen Hundes abzustellen. Stattdessen trifft er typisierende Regelungen für die Hundehaltung als Massenerscheinung, um erhebliche Gefahren für wichtige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum abzuwenden. Beißstatistiken zeigen, dass Gefahren nicht nur von bestimmten Listenrassen, sondern auch von anderen, häufig vertretenen Rassen ausgehen, sodass eine Differenzierung nach Größe oder Beißkraft nicht zielführend ist. Zudem ist der Verordnungsgeber nicht verpflichtet, erst nach einem Beißvorfall zu reagieren. Die Vorschrift erfasst daher auch umsichtige Hundehalter, deren Hunde in der Regel verlässlich geführt werden, was zulässig ist.

Der generelle Leinenzwang wird als verhältnismäßig angesehen, da die Grundrechte der Hundehalter hinter den Schutzrechten anderer Menschen zurücktreten, insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Schutzgüter Leben, Gesundheit und Eigentum. Auch subjektive Ängste vor unangeleinten Hunden sind unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit relevant. Der Vorwurf, das Anleingebot beeinträchtige die artgerechte Haltung, trifft nicht zu, da die Halter selbst für das Wohl ihrer Tiere verantwortlich sind und Auslaufmöglichkeiten, auch außerhalb des unmittelbaren Gemeindegebiets, bestehen.

Eine geringere Gefährdung in Außenbereichen rechtfertigt keinen Ausschluss vom Leinenzwang, da auch dort Gefahren bestehen und die Schutzwürdigkeit aller Menschen gleich hoch ist. Der Verordnungsgeber darf generelle Regelungen ohne differenzierte Ausnahmen erlassen, um die Verwaltungspraktikabilität zu gewährleisten. Zeitliche oder örtliche Einschränkungen sind wegen praktischer Umsetzbarkeit nicht zwingend erforderlich.

Sozialtypische Gegebenheiten wie fehlende Einfriedungen rechtfertigen keine Lockerung des Leinenzwangs, da ungesicherte Grundstücke ordnungswidrig sind. Die angebotenen Hundeauslaufflächen in der Gemeinde sind ausreichend groß und nutzbar, auch wenn nicht alle Bewohner sie zu Fuß erreichen können; alternative Verkehrsmittel sind zumutbar. Anforderungen an Pflege und Ausstattung der Auslaufflächen sind angemessen und nicht strenger als die Bedingungen in der freien Natur.

Beschränkungen wie ein Maulkorbzwang auf Auslaufflächen, die über gesetzliche Vorgaben hinausgehen, sind zulässig, um Schadensrisiken zu mindern, und stellen keine unverhältnismäßige Belastung dar. Insgesamt wiegt der Schutz der Allgemeinheit vor Hundebissen und Angriffen schwerer als die Einschränkungen für Hundehalter, weshalb das Anleingebot rechtlich Bestand hat.

Entscheidung

Der Antrag des Hundehalters wird abgelehnt.