Tierschutzrecht Urteil: Details Rechtsbereich Öffentliches Recht Fallkategorie Tierversuche Tier Affe Gericht OVG Bremen Datum 11.12.2012 Aktenzeichen 1 A 180/10; 1 A 367/10 Sachverhalt Der Kläger, Leiter der Abteilung für Theoretische Neurobiologie an der Universität Bremen, beantragte 2008 die Genehmigung für Tierversuche mit Rhesusaffen gemäß § 8 Tierschutzgesetz (TierSchG). Ziel war die Untersuchung komplexer Hirnfunktionen. Die Affen werden dabei operativ präpariert, fixiert und im Rahmen eines Wasserrestriktionsplans für die Versuchsteilnahme motiviert. Die Forschung war zuvor wiederholt genehmigt und international anerkannt, u. a. durch Förderungen der DFG. Die zuständige Behörde lehnte den Antrag ab mit Verweis auf § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG, wonach ein Versuch unzulässig ist, wenn er nicht ethisch vertretbar ist. Sie stufte die Belastung durch Fixierung, invasive Eingriffe und Flüssigkeitsbeschränkung als erheblich ein und sah den wissenschaftlichen Nutzen nicht als ausreichend an, um diese Belastung zu rechtfertigen – insbesondere im Hinblick auf die hohe Empfindsamkeit von Primaten. Dies entspricht auch der verfassungsrechtlich verankerten Schutzpflicht nach Art. 20a GG. Der Kläger widersprach. Er betonte die Unerlässlichkeit der Versuche (§ 7 Abs. 1 TierSchG) und argumentierte, dass die Belastung durch tierschutzgerechte Durchführung und Kontrolle gering sei. Auch Sachverständige bewerteten die Belastung unterschiedlich – während einige sie als gering einstuften, beschrieben andere erhebliche physische und psychische Leiden. Das Verwaltungsgericht Bremen hob die Ablehnung auf, da die Behörde keine hinreichend konkrete Abwägung zwischen Belastung und Nutzen vorgenommen habe. Es verpflichtete zur Neubescheidung unter Beachtung der gesetzlichen Maßstäbe des § 8 TierSchG. Gegen das Urteil legten beide Seiten Berufung ein. Beurteilung Im vorliegenden Fall bewertet das Gericht die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung zu Tierversuchen im Rahmen wissenschaftlicher Forschung. Dabei steht die Abwägung zwischen dem Schutz der Versuchstiere und der Freiheit der Wissenschaft im Mittelpunkt. Grundlage der Prüfung sind die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes (insbesondere §§ 7 und 8 TierSchG) sowie verfassungsrechtliche Vorgaben, vor allem Art. 5 Abs. 3 GG (Wissenschaftsfreiheit) und Art. 20a GG (Tierschutz als Staatsziel). Das Gericht stellt fest, dass nach § 7 Abs. 3 Satz 1 TierSchG die Versuche nur dann ethisch vertretbar sind, wenn eine Abwägung zwischen der Belastung der Tiere und der Bedeutung der Forschung vorgenommen wird. Im konkreten Fall sieht das Gericht die Belastung der Tiere als allenfalls mäßig an, während die Bedeutung der Forschung als hoch oder sogar hervorragend bewertet wird. Daraus folgert das Gericht, dass die Versuche ethisch vertretbar sind, da die Belastungen nicht so schwerwiegend sind, dass sie die durch das Grundgesetz geschützte Wissenschaftsfreiheit überwiegen. Das Gericht kritisiert ausdrücklich, dass die Behörde in ihrer Entscheidung unzulässigerweise außerrechtliche Maßstäbe wie die „Sozialmoral der Bevölkerung“ oder einen „deutlichen Wertewandel in der Gesellschaft“ in die Abwägung einbezogen hat. Eine solche Berücksichtigung sei rechtlich unzulässig, da die Abwägung nach § 7 Abs. 3 Satz 1 TierSchG strikt rechtlich gebunden sei. Die verfassungsrechtliche Aufwertung des Tierschutzes durch Art. 20a GG mache eine solche außerrechtliche Bezugnahme entbehrlich. Zudem weist das Gericht die Annahme der Behörde zurück, dass der Grundlagenforschung aufgrund eines „erheblichen Unsicherheitsfaktors“ ein geringeres Gewicht beizumessen sei. Vielmehr sei gerade die prinzipielle Unvollständigkeit der Grundlagenforschung verfassungsrechtlich geschützt und Teil ihrer wissenschaftlichen Legitimation. Das Gericht hebt hervor, dass bei Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 und 3 TierSchG die Behörde nach § 8 Abs. 3 TierSchG verpflichtet ist, die Genehmigung zu erteilen, ohne Ermessensspielraum. Im vorliegenden Fall hat die Behörde die Genehmigung zu Unrecht verweigert, da die ethische Vertretbarkeit der Tierversuche nicht gerechtfertigt infrage gestellt werden kann. Selbst wenn Ermessen zugestanden würde, wäre dieses aufgrund der hohen Bedeutung der Forschung und der vergleichsweise geringen Belastung der Tiere faktisch ausgeschlossen. Damit bleibt nach Ansicht des Gerichts keine rechtliche Grundlage für eine Ablehnung der Genehmigung. Entscheidung Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 28.05.2010 wird zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird unter entsprechender Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Bremen vom 28.05.2010 festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet war, ihm auf seinen Antrag vom 19.06.2008 sowie den Verlängerungsantrag vom 03.11.2011 eine Genehmigung nach § 8 Abs. 1 TierSchG zu erteilen. Zurück zur Übersicht