Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob das Verbot der rituellen Schlachtung ohne Betäubung in den belgischen Regionen Flandern und Wallonien mit der Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK vereinbar ist. Anders als das EU-Recht (Art. 13 AEUV), das den Tierschutz als öffentliches Interesse anerkennt, sieht die EMRK ihn nicht ausdrücklich als geschütztes Rechtsgut vor. Der Gerichtshof prüfte daher, ob die Einschränkung der Religionsfreiheit durch das Verbot im Rahmen des Schutzes der „öffentlichen Moral“ – unter die auch der Tierschutz fallen kann – verhältnismäßig und gerechtfertigt ist.
Zunächst hob der EGMR die hohe Qualität der parlamentarischen und gerichtlichen Prüfung der streitigen Dekrete hervor. Die belgischen Gesetzgeber hatten in einem breit angelegten Gesetzgebungsverfahren unter Einbeziehung religiöser Gruppen, Tierschutzorganisationen und Experten versucht, einen Ausgleich zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz zu schaffen. Die Dekrete sahen eine reversible Betäubung vor, also eine Methode, die das Tier nicht unmittelbar tötet, bevor es geschlachtet wird.
Der Gerichtshof betonte, dass die Maßnahme wissenschaftlich fundiert sei und keine weniger einschneidende Alternative zur Verfügung stand, um das Ziel – das Leid der Tiere zu verringern – ausreichend zu erreichen. Weder der EuGH noch das belgische Verfassungsgericht hatten verfassungsrechtliche oder unionsrechtliche Bedenken, wobei beide Gerichte auch die EMRK berücksichtigt hatten. Diese doppelte Vorprüfung wurde vom EGMR als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips anerkannt.
Zudem konnte der EGMR nicht feststellen, dass der Zugang zu religiös konformem Fleisch durch die Maßnahme wesentlich erschwert wurde, da der Import aus anderen Regionen oder Ländern weiterhin möglich ist. Auch der Umstand, dass die Region Brüssel eine solche Regelung (noch) nicht erlassen hat, ändere nichts an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in Flandern und Wallonien.
Letztlich befand der Gerichtshof, dass die betroffenen nationalen Behörden ihren Ermessensspielraum nicht überschritten haben. Das Verbot der rituellen Schlachtung ohne Betäubung verletze Art. 9 EMRK nicht, da es auf ein legitimes Ziel abziele, verhältnismäßig sei und der Schutz des Tierwohls als Teil der öffentlichen Moral gewertet werden könne.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befasste sich zudem mit der Frage, ob durch das Verbot der rituellen Schlachtung ohne Betäubung eine Diskriminierung im Sinne von Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) vorliegt. Art. 14 verbietet Diskriminierung bei der Wahrnehmung der durch die EMRK geschützten Rechte, sofern sich die betroffenen Personen in vergleichbaren Situationen befinden und keine sachliche und vernünftige Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung besteht.
Zunächst stellten die Beschwerdeführer (Bf.) einen Vergleich zwischen praktizierenden Juden und Muslimen einerseits und Jägern und Fischern andererseits an. Der EGMR lehnte diesen Vergleich ab, da sich die Kontexte – rituelle Schlachtung im Schlachthaus versus Tötung in freier Natur oder Wasserumgebung – deutlich unterschieden. Es handle sich also nicht um vergleichbare Situationen, sodass eine Ungleichbehandlung nicht weiter geprüft werden müsse.
Auch die Behauptung, dass praktizierende Gläubige gleich behandelt würden wie Menschen ohne religiöse Speisevorschriften, wurde vom EGMR zurückgewiesen. Im Gegenteil, die Dekrete sahen eine spezielle Ausnahme in Form einer reversiblen Betäubung vor, um religiöse Anforderungen möglichst zu berücksichtigen. Eine Ungleichbehandlung konnte also auch hier nicht festgestellt werden.
Schließlich wies der EGMR auch den Vergleich zwischen jüdischen und muslimischen Gläubigen zurück. Zwar seien ihre Speisevorschriften unterschiedlich, aber im Hinblick auf das streitige Verbot der Schlachtung ohne Betäubung befänden sich beide Gruppen in keiner wesentlich unterschiedlichen Situation. Auch hier sei daher keine Diskriminierung im Sinne von Art. 14 EMRK erkennbar.
Insgesamt kam der EGMR zu dem Schluss, dass Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 9 EMRK nicht verletzt wurde, da keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vorlag.