Wolf im Schnee

Der Wolf in Deutschland und in Hessen

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Zahlen aus dem Monitoring

Seit geraumer Zeit kehrt der Wolf wieder nach Deutschland und auch nach Hessen zurück.

Aktuell gibt es Nachweise für mehrere sesshafte Wölfe, inzwischen sind auch zwei Paarbildungen verifiziert und erstmals wurden für Hessen offiziell drei Welpen nachgewiesen. Mit einer weiteren dynamischen Entwicklung ist zu rechnen.

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat mittlerweile auch die Ergebnisse des bundesweiten Wolfsmonitorings der Saison 2021/22 veröffentlicht. Nach den in den Ländern erhobenen Zahlen gab es in Deutschland 161 Wolfsrudel, 43 Paare und 21 sesshafte Einzeltiere.

Für das Jahr 2020 wurden in Deutschland 942 (2019: 887) Wolfsübergriffe mit insgesamt 3959 (2019: 2894) getöteten, verletzten oder vermissten Nutztieren durch die Bundesländer gemeldet.

Bedeutung des Wolfes für die Biodiversität

Längst weiß man, dass die ökologische Bedeutung des Wolfes groß ist. Er sorgt unter anderem dafür, dass die Populationen der Pflanzenfresser langfristig gesund bleiben. Denn der Wolf frisst diejenigen Tiere, die er einfach erbeuten kann, dies sind meist alte und schwache Tiere. So werden Wildtiere, bei uns vor allem Rotwild, Reh- und Schwarzwild, die zu Krankheit neigen oder vielleicht andere anstecken könnten, schon früh gefressen und der Rest der Population bleibt gesund. Deutsche Wälder, aber auch die Landwirtschaft, leiden unter den stark erhöhten Wildbeständen und den damit verbundenen Schäden, die jährlich Millionen von Euro betragen.

Es hat sich zudem gezeigt, dass die Jagd durch den Menschen nicht ausreicht – oder sich sogar gegenteilig auswirkt – um den Wildbestand sinnvoll zu managen. Auch hier kann der Wolf helfen, wieder natürliche(re) Zustände zu erreichen

Wölfe ernähren sich überwiegend von Wildtieren, doch wenn sich eine günstige Gelegenheit ergibt, werden auch Nutztiere wie v. a. Schafe und Ziegen gerissen.

Immer noch zu viele schlecht geschützte und / oder unbeaufsichtigte Schaf- und Ziegenhaltungen

Viele Weidetiere, also Schafe, Ziegen, Gatterwild, Kälber und Fohlen werden oft noch immer nicht täglich kontrolliert und flächendeckend mit modernen Elektrozaunsystemen geschützt. Stattdessen sieht man weiterhin noch Stacheldraht, verrostete Baustahlmatten, morsche Lattenzäune und weidende Mutterkühe mit neugeborenen oder sehr jungen Kälbern hinter einer einzigen Drahtlitze. Alle diese Zustände, die keineswegs nur Einzelfälle darstellen, sondern leider allzu oft die Regel, entsprechen – ganz unabhängig vom Wolf – nicht der guten Praxis der Haltung von Weidetieren. So lässt sich dem Monitoring-Bericht der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf (DBBW) entnehmen, dass 2021 in knapp der Hälfte bis drei Viertel der Übergriffe auf Schafe und Ziegen kein bzw. nur ein eingeschränkter Mindestschutz vorhanden war. Empfohlene Schutzmaßnahmen wurden nur selten überwunden.

In 2021 registrierte die DBBW deutschlandweit 3.374 getötete Nutztiere. Im Vergleich dazu landen allein in Hessen jährlich Größenordnungen von 10 % der Bestände von Schafen, Ziegen und Kälbern als sogenannte Falltiere in den Tierkörperbeseitigungsanlagen.

Bei den von Wölfen 2021 getöteten oder verletzten Nutztieren in Deutschland handelte es sich zu 85,4 % um Schafe oder Ziegen, 6,0 % um Gatterwild und in 7,4 % um Rinder (meist Kälber).

Bestätigte Nutztierrisse in Hessen gem. HLNUG Wolfszentrum:

Monitoringjahr

Geprüfte Meldungen

Bestätigte Nutztierrisse

2019/20

300

12

2020/21

414

7

2021/22

624

2

 

Konflikte

Dass mehr Wölfe auch gleich mehr Konflikte bedeuten, ist grundsätzlich klar, und die Ängste und Befürchtungen der Halter von Weidetieren sind vollkommen nachvollziehbar.

Dabei ist das Verhältnis zwischen Mensch und Wolf in Gebieten mit langer Tradition des Zusammenlebens wie in Süditalien, im Balkan oder in Nordspanien wesentlich unaufgeregter.

Beispiel Schweiz

Im Zuge der Schafhaltung in den Schweizer Alpen wurden beispielsweise rund 400 Risse im Jahr 2018 gezählt. Durch „natürliche Abgänge“ gehen dort jährlich rund zwei Prozent der Herden in den rund 100 Alptagen verloren. So verenden auf Schweizer Alpen rund 4.000 Tiere, ohne Wolfseinwirkung. Die Tiere sterben an Parasiten und Infektionskrankheiten, stürzen ab, unterliegen dem Stein- und Blitzschlag, verwickeln sich in Weidenetzen oder verlieren den Herdenanschluss und gehen verloren. Der „Obolus“ an die Wölfe beträgt in der Summe zehn Prozent (Quelle: Mario F. Broggi in Nationalpark 4/2022)

Ausgleichzahlungen und Prävention

Jeder einzelne Wolfsriss bei Weidetieren ist wirklich bedauerlich (und in den meisten Fällen vermeidbar), dennoch gilt es einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu finden. Die hessische Landesregierung stellt – ohne dass es dafür eine rechtliche Verpflichtung gäbe – den Haltern von Schafen und Ziegen (die am allermeisten betroffen sind) Unterstützungen in Millionenhöhe zur Verfügung, um Mehrbelastungen auszugleichen. Dies gilt nicht nur für den Bereich der professionellen Tierhaltung, sondern auch für die vielen Klein- und Hobbyhaltungen, wo es nicht um die berufliche und wirtschaftliche Existenz von Betrieben und Arbeitsplätzen geht. Gerade vor diesem Hintergrund ist es nicht akzeptabel, wenn vor allem im Bereich der Hobbytierhaltungen viele Defizite beim Schutz von Weidetieren nicht konsequent beseitigt werden.

Tierhalter in Hessen, gleich ob Hobbyhalter oder gewerblich Arbeitender, werden bei nachgewiesenen Wolfsrissen zu 100 % finanziell entschädigt und beim Herdenschutz durch finanzielle Förderung beim Weidezaunbau unterstützt, wovon Menschen in anderen Teilen der Welt oft nur träumen können. Die Fördergelder sind im langjährigen Bundesschnitt rund 10-fach höher als die Schäden.

 

Gefahr für den Menschen?

Obwohl die Chance, einen Wolf zu Gesicht zu bekommen, gering ist, bereitet das Tier vielen Bürgern Sorgen. Leider gibt es - auch in Hessen - Vertreterinnen und Vertreter von Parteien, Lobbyverbänden und Medien, die deshalb vorsätzlich mit Ängsten in der Bevölkerung spielen und den Wolf - wider besseres Wissen - als große Gefahr für Menschen darstellen.

Nach dem hochaktuellen NINA-Report (Norwegian Institute for Nature Research = Norwegisches Institut für Naturforschung) (1944/2021) stellt sich die Situation tatsächlich faktenbasiert so dar:

Im Zeitraum von 2002 bis 2020 fanden die Wissenschaftler weltweit 489 Angriffe von Wölfen auf Menschen, von denen 26 tödlich endeten. Schwerpunktregionen für solche Vorfälle sind der Iran, die Türkei und Indien. Der Großteil (78 %) der Angriffe lässt sich auf eine Erkrankung der Wölfe mit Tollwut zurückführen.

Ein Angriff durch einen Wolf, wie auch durch andere Wild-, Nutz- oder Haustiere, kann niemals völlig ausgeschlossen werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedoch im Vergleich mit anderen Gefahren, denen wir täglich ausgesetzt sind, äußerst gering.

Weil Deutschland eine Kulturlandschaft und tollwutfrei ist, ist die wahrscheinlichste Ursache für „auffällige“ Wölfe die Gewöhnung an den Menschen insbesondere durch (bewusste oder unbewusste) Fütterung. Dieser kann man eigentlich mit gesundem Menschenverstand entgegenwirken.

Viel gefährlicher als Wölfe stellen sich allerdings Wildschweine dar. Hier kommt es immer wieder zu schwerwiegenden Attacken gegen Menschen, auch zu tödlichen Angriffen (https://www.focus.de/panorama/welt/behoerden-warnen-immer-mehr-wildschwein-attacken-keiler-toetet-jaeger-in-mecklenburg-vorpommern_id_7937307.html).

Attacken durch Haushunde sind ebenfalls ungleich gefährlicher: Durch Hundebisse werden pro Jahr durchschnittlich 3,3 Menschen bundesweit getötet, oft sind es Kinder (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157643/umfrage/todesfaelle-durch-hundebisse-nach-bundeslaendern/). Über die vermutlich jährlich Tausenden Verletzungen von Menschen durch Hunde- und Katzenbisse, die teilweise durchaus schwer und folgenreich sein können – wird in Deutschland keine Statistik geführt, ebenso wenig wie über Jagdunfälle. Regelmäßig sterben Menschen in deutschen Wäldern durch die Ausübung der Jagd, ohne dass dies in vergleichbarem Maße thematisiert und problematisiert wird, wie die Wiederkehr des Wolfes.

 

Herdenschutzhunde

Der häufig im Zusammenhang mit Weidetierhaltung empfohlene Einsatz von Herdenschutzhunden stellt eine zusätzliche Belastung für die Betriebe dar und scheint aufgrund der derzeitigen Gefährdungslage sowie der betrieblichen Situation der wenigen hauptberuflichen Schäfereien in Hessen weder wirtschaftlich noch sinnvoll.

Vielmehr können diese Hunde, wenn in nicht wirklich sachkundigen Händen, nicht nur zu einem Tierschutzproblem, sondern selbst zu einer größeren Gefährdung als die Wölfe werden.

Die Haltung von Herdenschutzhunden in dicht besiedelten Räumen stellt besondere Anforderungen, z. B. an den Umgang mit anderen Kindern, Spaziergängern, Joggern. Herdenschutzhunde sind, was vielen nicht bewusst ist, völlig anders als Hütehunde zu behandeln. Als sehr territoriale Hunde können sie gerade in dicht besiedelten Gebieten auch zu einer Gefahr für Menschen werden. Die Erfahrungen aus der Schweiz, in der mittlerweile Kantone das Verbot des Einsatzes von Herdenschutzhunden fordern, stehen da für sich und sollten in Hessen dringend bedacht werden. Erst wenn zuvor alle anderen zumutbaren Maßnahmen des Grundschutzes angewandt wurden und wenn zudem der Tierhalter über eine ausreichende Sachkunde zu Herdenschutzhunden verfügt, kann der Einsatz angezeigt sein.

Schlussfolgerungen

Die großen Beutegreifer, sogenannte Prädatoren wie Bär, Wolf und Luchs gehören zu unserer einheimischen Fauna. Es ist keine Romantik, sondern biologisch begründbar, sich für den Beutegreifer Wolf einzusetzen, denn er erfüllt im Ökosystem eine wichtige Aufgabe. Und dabei bleibt auch festzuhalten: Menschen brauchen keine Angst vor Wölfen zu haben und die wirtschaftlichen Schäden, die sie verursachen, sind von einer reichen Gesellschaft wie der unseren leicht zu kompensieren. Wir erwarten von Menschen in afrikanischen Ländern, dass sie z. B. Elefanten schützen, obwohl deren reale Auswirkungen auf diese Menschen unvergleichlich existenzieller sind und sind selbst nicht bereit, geringste Auswirkungen hinzunehmen.

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