Längst weiß man, dass dieser Eingriff mit Schmerzen verbunden ist. Wer käme auf den Gedanken seinen Hund, Kater oder Hengst betäubungslos von einem Landwirt kastrieren zu lassen? Auch bei der Wahl in der Frage einer eigenen Operation würden sich wohl die meisten Bürgerinnen und Bürger den gelernten Ärzten und Anästhesisten anvertrauen und nicht den ungelernten Praktikanten. Für die Ferkel gelten diese Maßstäbe nicht. Die Kastration ohne Betäubung ist zweifelsfrei ein sehr schmerzhafter chirurgischer Eingriff. Dies bestätigt auch der Wissenschaftsausschuss der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schon vor fast 15 Jahren in ihrem veröffentlichten Bericht.
Der Grund für die Durchführung der Kastration männlicher Ferkel ist in erster Linie, dass das Fleisch, insbesondere das Fettgewebe geschlechtsreifer Eber beim Erhitzen zuweilen einen für manche Verbraucher als sehr unangenehm empfundenen Geruch und Geschmack entwickelt. Hierfür sind hauptsächlich zwei Substanzen, Androstenon und Skatol, verantwortlich.
Während das Androstenon vor allem genetisch determiniert, allerdings durch Zucht beeinflusst wird, kann der Skatolgehalt durch geeignete Management- oder Fütterungsmaßnahmen reduziert werden. Hierauf sollten landwirtschaftliche Betriebe ihr Augenmerk richten.
Die chirurgische Ferkelkastration ist geregelt in §§ 6 und 21 Tierschutzgesetz. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres grundsätzlich verboten. Von dieser Vorschrift gibt es jedoch Ausnahmen. Das gilt nicht, wenn unter acht Tage alte männliche Schweine kastriert werden. Der Eingriff ist beim Tier dabei mit schweren Schmerzen verbunden. Diese Norm wurde in Anbetracht ihrer Entstehungsgeschichte in das Tierschutzgesetz eingefügt, um zu verdeutlichen, dass auch in Zukunft, nämlich nach Ablauf der Übergangsfrist in § 21 Abs. 1, eine chirurgische Ferkelkastration möglich und erlaubt sein soll.
Bis zum 31.12.2018 ist abweichend von § 5 Abs. 2 S. 1 eine Betäubung nicht erforderlich für das Kastrieren von unter acht Tage alten männlichen Schweinen, sofern kein von der normalen anatomischen Beschaffenheit abweichender Befund vorliegt. Mit Beschluss vom 11.12.2012 setzte der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz dafür eine Übergangsfrist bis zum Ablauf des 31.12.2018 durch. Diese Zeit sei erforderlich, um die den Landwirten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten weiter zu entwickeln und zu optimieren.
Schon längst gibt es weltweit erfolgreich angewandte Alternativen, insbesondere die Jungebermast. Die Jungebermast – also der vollständige Verzicht auf die Kastration – ist aus Tierschutzsicht die beste Methode. Zudem sind mit der Mast von Jungebern, wie viele wissenschaftliche Arbeiten zeigen, eine gute Futterverwertung und eine hohe Schlachtkörperqualität erreichbar.
Die zweite bewährte Alternative ist die Impfung gegen Ebergeruch. Es handelt sich um eine aktive Immunisierung (Impfung) gegen das körpereigene Gonadotropin Releasing Hormon (GnRH), das im Hypothalamus gebildet wird. Die nach der Impfung gebildeten Antikörper binden GnRH im Blut. Der verwendete Impfstoff ist hormonell nicht aktiv.
Folgerungen und Forderungen
Da bereits zwei tierschutzkonforme, lang angewandte und sofort einsetzbare Alternativen zur betäubungslosen Kastration von männlichen Ferkeln vorliegen, gibt es keinen Grund für Politik oder landwirtschaftliche Interessenvertreter wie den Deutschen Bauernverband, eine Änderung des Tierschutzgesetzes mit dem Ziel der Verzögerung zu fordern und so die Umsetzung in der Praxis auf Jahre heraus zu zögern.
Seit kurzer Zeit verfolgen landwirtschaftliche Verbände, wie der Deutsche Bauernverband oder auch der Bayerische Bauernverband einen neuen Ansatz, die Kastration unter Lokalanästhesie („4. Weg“)
Hierbei sollen Landwirte –nach einem Schnellkurs – die Tiere selbst lokal betäuben dürfen und die Spritzen in den Hoden ohne tierärztliche Überwachung setzen dürfen. Dieses Vorgehen ist von vielen Problemen und Risiken begleitet:
- Es besteht ein hohes Risiko für fehlerhaftes Verabreichen des Lokalanästhetikums mit verheerenden Folgen bis hin zum Tod
- Die Tiere leiden Stress und Belastung durch Fixierung und mehrfache Injektionen in den Hoden
- Während das von der Landwirtschaft vorgesehene Medikament „Lidocain“ hoch gewebereizend ist, schaltet Procain nur teilweise den Schmerz aus
- Schmerzausschaltung bei äußerlich aufgetragenen Gels oder Sprays
Um diesen 4. Weg durchsetzen zu können, planen politische Kreise, die die Landwirte bedingungslos unterstützen, eine Änderung des Tierschutzgesetzes durch Jahre lange Verschiebung des ursprünglichen Verbots.
Erfreulicherweise zeigt der Lebensmitteleinzelhandel aber mehr Interesse am Tierschutz.
Einzelne Unternehmen wollen das Fleisch solcher vom Landwirt lokal betäubten Tiere nicht annehmen.